Die Prüfungen des Tierkreises

Die Prüfungen des Tierkreises

Tierkreis, Proben

Astrologie am Biertisch

„Die Zeit als Ursula im Ausland gearbeitet hat, war also eine ziemlich heftige Prüfung für unsere Ehe“, schloss mein Schulfreund Stefan seinen umfangreichen Bericht am Abend unseres 30-jährigen Abiturtreffens. „Und auch für mich. Aber es hat sich gelohnt. Wir stehen uns jetzt zum ersten Mal richtig nahe, so blöd das auch klingt.“

„Meinst du nicht, dass du dir das Ganze nicht schön redest?“, war mein etwas unsensibler Einwand. „Im Nachhinein glaubt man doch gerne, dass der Stress und der Ärger, die man hatte, auch sinnvoll waren.“ „Nein, auf keinen Fall!“ Stefan wurde ungewohnt heftig. „Ich bin mir sicher, wir wären längst nicht mehr zusammen ohne diese erzwungene Trennung. Und ich wäre immer noch der gleiche Idiot, der ich zwanzig Jahre lang war.“

Stefan nahm einen langen Schluck von seinem Weißbier und winkte der Kellnerin. „Glaub mir, Helmut. Diese Krise war das Beste, was mir passieren konnte.“ Schweigend leerte ich mein Weißbierglas. Als Freund weiß man auch noch nach 30 Jahren, wann alles gesagt war.

Tierkreis Proben

Am nächsten Morgen – zum Glück war Sonntag – kam ich ins Grübeln. Ich hatte doch auch schon erlebt, dass mich Schicksalsschläge oder Krankheiten menschlich reifen haben lassen. Wer wäre ich heute ohne die harte Erfahrung meiner Zeit bei der Bundeswehr oder einer zweijährigen schweren Krankheit in meiner Studentenzeit? Und hatten nicht Naturvölker ihre jungen Männer sogar schweren Proben wie z.B. Kämpfen mit wilden Tieren ausgesetzt, um ihre Entwicklung zu beschleunigen und ihre Tugenden wie Mut, Entschlossenheit oder Ausdauer zu entwickeln?

Plötzlich erwachte der Astrologe in mir. Prüfungen, Proben, Aufgaben? Kann man astrologische Häuser und Tierkreiszeichen neben ihrer offenkundigen Bedeutung als Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften nicht auch als Erfahrungsfelder oder, in Stefans Sprache, als Prüfungen auffassen? Natürlich kann man das.

Der Tierkreis ist eine der ältesten archetypischen Beschreibungen der Welt und der Natur. Und der Mensch macht seit alters her Erfahrungen durch die Welt und durch die Natur.

Ich erinnerte mich an Herakles, den altgriechischen Halbgott und Sinnbild des Menschen, der von der großen Muttergöttin Hera, Sinnbild der Welt, zwölf scheinbar unlösbare Proben auferlegt bekommt. Und was geschieht? Herakles durchschreitet tapfer jede Probe, wandelt sich, wächst daran und wird als strahlender Sieger in den Götterolymp aufgenommen.

Ich dankte innerlich Stefan für die Botschaft am Biertisch. Wachstum und Bewusstsein entstehen dadurch, dass wir durch eine Erfahrung hindurchgehen, nicht indem wir sie umgehen oder vor ihr stehen bleiben. In diesem Sinne müsste auch jede archetypische astrologische Prüfung zwei Lösungen haben: den Fall oder das Emporsteigen, den Sieg oder die Niederlage.

Widder – die Prüfung der Isolation

Tierkreis, Proben

Mit jedem Anfang, mit jeder Geburt, erleben wir die Prüfung der Isolation. Und eigentlich ist jede Erfahrung eine mögliche Geburt, da sie eine Isolation, eine Trennung vom Gewohnten bringt. In Platons Höhlengleichnis – Sinnbild für die gleichgeschalteten Menschen der modernen Zeit – verlässt ein Mensch das Szenario der sitzenden und an die Wand starrenden Höhlenbewohner: der spätere Philosoph, der den Mut hat, das bestehende System zu hinterfragen und sich gegen den Willen der Gruppe zu stellen. Er besteht die Probe der Isolation und wird belohnt durch einen philosophischen Erfahrungsprozess, den C. G. Jung Individuation genannt hat. Man könnte auch sagen, die körperliche Geburt fordert die Isolation aus dem Mutterschoß.

Die Individuation oder psychologische Geburt fordert die Isolation aus der Masse.

Und was fordert die Initiation oder geistige Geburt, die in einigen alten Hochkulturen praktiziert wurde?
Aber versuchen wir das Wort Isolation besser zu verstehen. Es beinhaltet das lateinische sol, „die Sonne“ und solus, „allein“. Es geht also darum, zur Sonne zu werden, die naturgemäß allein steht. Isoliert sein ist ein objektiver Zustand des freien Geistes, er hat mit dem subjektiven Gefühl der Einsamkeit nichts zu tun.

In der Prüfung der Isolation geht es darum, das zu sein, was man wirklich ist.

Sie ist die Chance, sein höheres Selbst zu entdecken und einen einzigartigen Charakter zu erwerben. Viele Menschen kennen das Gefühl aus ihrer Jugend: nicht dazuzugehören, nicht Teil des Systems zu sein, anders zu sein. Aber wer nimmt die Prüfung der Isolation an und hält es aus, nicht in der vermeintlichen Sicherheit der menschlichen Herde mitzulaufen? In dieser Spannung könnten wir zu einem starken Individuum heranreifen.

Tierkreis, Proben

Das Ergebnis der nicht bewältigten Prüfung sehen wir täglich auf den Straßen, in den U-Bahnen oder auf den Fernsehbildschirmen unserer Massengesellschaft: Menschen, die auf ihrem Anderssein insistieren, den Separatismus leben und die oberflächliche Unterschiede betonen. Authentische Menschen, die ihre innere Einzigartigkeit entdeckt haben und verwirklichen, haben es nicht nötig, äußerlich originell zu wirken. Und umgekehrt: Ist nicht die zwanghafte Suche nach äußerer Abgrenzung in Mode, Musikgeschmack, Lebensgefühl etc. ein bemitleidenswerter Versuch, die nicht bestandene Probe der Isolation zu kompensieren?

Stier – die Prüfung des Besitzes

Alle Kräfte und Fähigkeiten, die die Natur einem Individuum anvertraut hat, sind dessen Besitztümer. Seien es physische Gegenstände, Muskelkraft, Gesundheit, Reichtum, geistige Gaben, emotionale Stärke usw. Und wie im bekannten biblischen Gleichnis von den Talenten geht es darum, wie wir unsere Fähigkeiten anwenden. Wie gehen wir mit den Geschenken des Lebens und der Natur um? Sie zurückweisen, würde ins Chaos führen. An ihnen zu haften und sie bloß für uns anzuhäufen, würde laut Buddha Leid und Schmerz auslösen.

Tierkreis, Proben

Was also tun? Wie wäre es mit Verantwortung? „Eigentum verpflichtet“, fordert sogar das deutsche Grundgesetz. Leben ist Wachstum und Entwicklung. Wie einfach wäre es daher, die Geschenke des Lebens, unseren Besitz, bewusst und zielgerichtet für die Entwicklung und das Wachstum der Gesellschaft einzusetzen. Man kann im Kleinen damit anfangen. Der Stoiker Epiktet lehrte, dass es töricht wäre, stolz auf ein schönes Pferd zu sein. Denn das Pferd ist schön, und nicht der Besitzer. Niemand ist besonders aufgrund seines Besitzes und seiner Fähigkeiten, sondern aufgrund des Gebrauches, den er davon macht.

Zwilling – die Prüfung des Denkens

Die Neurowissenschaft ist heute in aller Munde und gilt fast schon als Ersatzreligion, die uns die Welt und das Bewusstsein erklären kann. Viel ist darüber geschrieben worden, dass sich die Menschheit innerhalb einiger Jahrtausende mittels des Neokortex von einer gejagten und bedrohten Spezies zum Herrscher über den Planeten entwickelt hat. Aber was ist unser Denken aus astrologischer Sicht? Und wo liegt hier die Prüfung?

Tierkreis, Proben

Intelligenz kommt aus dem Lateinischen intellegere, „verstehen“, abgeleitet von inter „zwischen“ und legere „lesen“. Die Intelligenz verbindet Gegensätze zu einem sinnvollen Ganzen und ist gleichzeitig in der Lage, das Wesentliche auszuwählen und zu bewerten. Die indischen Philosophen kannten den Begriff Kama Manas für das analysierende, trennende und rein zweckorientierte Denken.

Der Philosoph Heidegger kritisierte bereits, dass der moderne Mensch ganz im Banne einer ökonomisch technischen Vernunft stehe, die nur noch frage, welchen Nutzen etwas habe. Unsere ganze westliche Natur sei „behext durch das rechnende Denken“. Heidegger riet dem Gegenüber zu einem Denken und einer Sprache des Seins. Für ihn waren die Mystiker und Dichter wegweisend und er forderte zu einer Rückkehr zu einem be-sinn-lichen Denken auf. Er war ein Meister darin, den gewöhnlichen Dingen Sinn, Tiefe und Mystik abzugewinnen. Die Inder nannten dieses Denken Manas, das reine Denken, das nach Sein und Sinn fragt.

Mit welcher Sprache und welchem Denken wollen wir leben? Mit einem atemlosen Intellekt und einer „Sprache auf der Rennbahn in die Information“ (Heidegger) oder einer vereinigenden Intelligenz voller Tiefe, Ruhe und Schönheit?

Fische – die Prüfung des Abschließens

Tierkreis, Proben

Viel gäbe es noch astrologisch zu philosophieren, über die Prüfungen der Stabilität, der rechten Handlung und des Leidens (Krebs, Löwe, Jungfrau), der Begegnung, Verantwortung und des Sinns (Waage, Skorpion, Schütze) und schließlich der Funktion, der Unruhe und des Abschließens (Steinbock, Wassermann, Fische).

Aber eines hatte mich das Gespräch mit Stefan am Biertisch ja am Ende gelehrt: Man sollte wissen, wann alles gesagt ist.

Interessiert, welche Proben, Talente und Lebenssituationen in Deinem Tierkreiszeichen liegen? Helmut Müller, der Autor dieses Artikels gibt in unserer nächsten Veranstaltung einen Überblick über die 12 archetypischen Muster, und über die Helden, die diese Proben gelöst haben. Ein Kurzsseminar mit praktischen Übungen.

 

3 Antworten

  1. Melanie sagt:

    Das klingt ja sehr spannend. Wann ist denn die Veranstaltung? Ich würde sie mir gerne ansehen.

  2. Ursula sagt:

    Tolle Bilder! Hätte nicht gedacht, dass Philosophie so witzig sein kann (das Bild mit dem Schuh :-))!
    Auf jeden Fall klingt das sehr viel seriöser und tiefgründiger als das, was man sonst so liest in den Horoskopspalten! Quasi als Anleitung zur Reflexion über das eigene Leben!

    • Melanie sagt:

      Hallo Ursula,
      das finde ich auch. Ich war beim Vortrag anwesend und war sehr überrascht, wie schön die Ideen waren, die vermittelt wurden. Auch wenn man selbst beispielsweise kein Fisch vom Sternzeichen ist, hat jeder im Leben vielleicht auch mal einen Fische-Moment. Es geht also eher darum, zu verstehen, was die verschiedenen Qualitäten sind der Tierkreiszeichen und diese in den Lebensmomenten zu erkennen.

      Helmut Müller ist ein toller Workshop-Leiter.

      Mit hat es gefallen.

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