Die Zeit: vom Feind zum Freund

Die Zeit: vom Feind zum Freund

Zeit

Die Zeit, die heute so genau gemessen werden kann, ist nach wie vor eines der größten Rätsel. Sie beschäftigt uns nicht nur in der Philosophie, sondern auch im alltäglichen Leben, denn die Zeit erscheint uns immer zu knapp zu sein.

Seneca, wohl einer der berühmtesten Philosophen der Antike, bewies mit seinen Schriften, dass die grundlegenden Themen des Menschen immer die gleichen sind. Nicht umsonst ist dieses kleine Werk auf solches Interesse gestoßen, dass es uns bis heute erhalten blieb. Es ist ein kleines Büchlein, handelt von den verschiedenen Ursachen des Zeitmangels und zeigt gleichzeitig Lösungswege auf. Nicht wie man seinem Leben mehr Zeit, sondern seiner Zeit mehr Leben verleiht.

Das Leben, ob es nun 30 oder 80 Jahre dauert, ist immer lang genug, um die größten Taten zu vollbringen, wie uns Beispiele der Geschichte beweisen um als Mensch zu wachsen und seine Aufgaben zu erfüllen. (z.B. Alexander der Große, Mozart, die wenig älter als 30 geworden sind und doch eine ganze Epoche geprägt haben). Es wird aber andererseits immer zu kurz sein, wenn wir das Leben nicht leben, sondern nur die Zeit verbringen. Das heißt, wenn wir Dinge wichtig nehmen, die es eigentlich nicht sind, und Schätzen hinterherjagen, die uns zwischen den Fingern zerrinnen.

Viel gegangen – kaum weitergekommen

Zeit

Es ist ja nun nicht so, dass wir unsere Zeit absichtlich verschwenden oder die Stunden, Tage und Jahre mit Däumchen-drehen und Kaffeetrinken verbringen würden. Im Gegenteil: Wir sind rund um die Uhr beschäftigt; deswegen leiden wir umso mehr, wenn wir entdecken, dass wir zwar viel gegangen, aber kaum weitergekommen sind. Was sind nun aber jene Faktoren, die nicht nur unsere Zeit, sondern auch unser Leben stehlen?

Seneca greift hier nicht auf die uns allbekannten Dinge, wie Warteschlangen an den Kassen, das Stecken im Stau (laut antiken Berichten gab es so etwas auch schon im alten Rom!) oder die Bürokratie zurück. Nein, er bezichtigt nicht die äußeren Umstände der Schuld an unserer Zeitmisere, sondern bezieht sich vor allem auf unsere innere Haltung. Hier einige Beispiele dazu:

Wir verlieren zu allererst einmal Zeit, indem wir uns beklagen, wie wenig Zeit wir haben

Inzwischen hätten wir schon längst an etwas Schönes denken, mit unserem Gegenüber ein sinnvolles Gespräch führen oder die zu erledigende Arbeit einfach anpacken können.

Die Routine – das Handeln ohne Bewusstsein

Obwohl es auf den ersten Blick eintönig scheinen mag, sich jeden Tag die Zähne zu putzen, täglich den gleichen Weg zur Arbeit zurückzulegen oder immer wieder das Geschirr abzuwaschen, entwickeln diese Alltäglichkeiten eine eigene Kraft und Energie, wenn wir nur unsere ganze Aufmerksamkeit darauf lenken und versuchen, alles so zu machen, als wäre es für uns das Schönste und Wichtigste.

Mögen die Tätigkeiten auch dieselben sein – wir sind von Mal zu Mal andere Menschen, wenn wir Bewusstsein und Tiefe in jede unserer Handlungen legen.

Das Leben fern von der Gegenwart

Das Aufschieben von unangenehmen Notwendigkeiten entzieht uns nicht nur die Verantwortung, sondern auch die Macht über unser eigenes Leben. Auch die Angst vor der Zukunft, die wir noch nicht einmal kennen, und das Vergessen der Vergangenheit, das – der Grund für die ständige Wie- derholung alter Fehler ist, sind hinderlich für ein Leben im Jetzt.

,,Das, was in der Hand des Schicksals (gemeint ist die Zukunft; Anm. d. Übers.) ist, damit arbeitest du, was in deiner ist, das legst du weg. “

Das Kümmern um Angelegenheiten, die nicht die unsrigen sind

Darunter fallen nicht nur die neuesten Liebesbeziehungen unserer Arbeitskollegen, sondern auch Themen, die unser innerstes Ich nicht interessieren. Um dies zu klären, müssen wir uns die Frage stellen ( und auch beantworten!), wer wir wirklich sind:

  • ob wir lediglich ein Körper sind, dessen höchstes Ziel größter Genuss und maximale Bequemlichkeit ist,
  • ob wir nur Gefühle sind, die elektrischen und biochemischen Impulsen unterworfen sind, oder
  • ob wir eine unsterbliche Seele auf der Suche nach der Wahrheit sind.

Dies sind nur einige wenige Punkte, die Seneca veranlassten, sein Buch „Von der Kürze des Lebens“ zu schreiben. Er nennt aber auch Aspekte, die dem Leben Farbe und Tiefe verleihen und vom Stress zur Lebensqualität führen.

Konzentration

Ein ruhiger Geist erlaubt das Leben in der Gegenwart, das so oft angesprochen wird. Warum ist das so wichtig? Nicht nur um des jetzigen Augenblickes willen, sondern weil die Gegenwart zur Vergangenheit wird. Je mehr Konzentration wir in den Augenblick legen, umso größer ist unser Erfahrungsschatz, den wir sammeln und von dem wir immer zehren können.

Die Konzentration, das Bewusstsein ist es, das das oberflächliche Erlebnis zu einer tiefgreifenden Erfahrung macht. Und zwar nicht nur die einschneidenden Momente, sondern auch die kleinen, alltäglichen und unscheinbaren Handlungen gewinnen plötzlich an Farbe und Tiefe. Über jene, die stets viel beschäftigt, jedoch weder bei sich selbst noch bei den Dingen sind, schrieb Seneca:

,,Ihr Leben versinkt also in den Abgrund, und wie es nichts nützt – magst du hineinschütten, soviel du willst, wenn nichts darunter steht, was auffängt und behält – so kommt es auch nicht darauf an, wie viel Zeit gewährt wird, wenn es nichts gibt, wo sie Halt findet: Durch angeschlagene und durchlöcherte Seelen rinnt sie hindurch.“

Qualität vor Quantität

Wenn wir also unser Leben in groben Zügen betrachten, so werden wir feststellen, dass wir uns nur sehr punktuell an die Vergangenheit erinnern können.

,,Du wirst sehen, dass du weniger Jahre hast, als du zählst.“

Die Zeit, die wir nicht greifen können, ist die Zeit ohne Bewusstsein.

Wie kommt man aber nun zu mehr Bewusstsein? Dazu schlägt Seneca Folgendes vor:

Den Willen:

Wenn wir wissen, was wir wollen, wir uns innerlich sicher für eine Sache entscheiden können und die Stärke haben, die äußeren, hauptsächlich aber die inneren Hindernisse zu überwinden.

Den Kontakt mit sich selbst: die Reflexion.

Nur wenn wir über das Er- bzw. Gelebte reflektieren, können wir zu neuen Erkenntnissen gelangen und uns neu ausrichten. Dies gewährleistet, dass man nicht in jedes Fettnäpfchen dreimal treten und in jede Sackgasse fünfmal gehen muss.

Authentizität:

Sie entsteht dadurch, wenn ich ICH selbst bin.

  • Wenn ich nicht jeder Modeströmung verfalle und unreflektiert Meinungen nachplappere, sondern wenn ich die Ideen zu meinen eigenen Werten bzw. Nicht-Werten mache.
  • Wenn ich weiß, warum ich wofür stehe und nicht blindlings in der Masse aufgehe. Wenn wir jeden Tag so leben könnten, als wenn es unser letzter ( oder auch unser erster!) wäre.
  • Wenn wir den Sternenhimmel betrachten und uns dabei glücklich fühlen.
  • Wenn wir Gespräche führen und dabei die Seele hinter dem sprechenden Gesicht wahrnehmen.
  • Wenn wir klare Entscheidungen treffen, die unbeeinflusst von äußeren Umständen auf einer inneren Sicherheit beruhen.
  • Wenn wir gegen unsere eigenen Fehler gekämpft und unsere Schwächen in Stärken zu verwandeln versucht haben.
  • Wenn wir aus Fehlern Erfahrungen ziehen.
  • Vor allem aber wenn wir Ziele und Träume haben und ihnen auch einen Platz geben.

Dann werden wir am Ende unseres Lebens von einer erfüllten Reise sprechen können und nicht nur von einem Weg, den wir zwar gegangen sind, der uns aber nicht weiter nach vorne und oben gebracht hat.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 117 (3/2009) des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.

 

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