Über die Kunst, Gefühle zu kultivieren

Über die Kunst, Gefühle zu kultivieren

Gefühle

Gefühle entstehen nicht zufällig. Wenn wir in der physischenEbene gelernt haben, dass Objekte ständig gepflegt werden müssen, warum sollte dies bei den Gefühlen anders sein? Ebenso wie Autos und Maschinen geölt oder Möbel und Kleidung gereinigt werden, müssen Gefühle gereinigt und „geölt“ werden. Wenn ein Körper Nahrung braucht, um nicht zu verfallen oder krank zu werden, warum sollten Gefühle keine Nahrung benötigen?

Ein Gefühl wächst und kann nur überleben, wenn wir viel Geduld und Anstrengung hineinstecken.

Es ist wie eine kleine Pflanze, deren Wurzeln gepflegt werden müssen.

Was sind also die Wurzeln des Gefühls, das wir kultivieren wollen?

Wenn wir die Gefühle erkannt haben und wissen, wie sie entstanden sind, müssen wir ihre Wurzeln täglich gießen, um diese und somit die Pflanze an sich am Leben zu erhalten. Aber dazu bedarf es einer riesigen Portion Ausdauer. Man kann nicht so tun, als würde ein Gefühl von selbst leben: Das wäre so, als würden wir behaupten, dass Lebewesen einfach bloß leben und sterben, ohne irgendeinen bestimmten Grund, nur dem absurden Zufall unterworfen.

Was ist die beste Nahrung für gesunde Gefühle?

Nichts weiter als ein paar Tropfen Toleranz. Das Bewusstsein, dass die Dinge, die wir lieben, nicht perfekt sind, genau wie auch wir selbst nicht perfekt sind. Akzeptieren wir diese Unvollkommenheiten, indem wir ihnen nicht erlauben, unsere Empfindungen zu zerstören. Aber arbeiten wir daran, diese Unvollkommenheiten nach und nach zu beheben, indem wir bei uns selbst beginnen und dann jenem folgen, was wir wirklich lieben.

Die Gefühle bleiben klar und rein, wenn wir in allen Lebensbereichen innerliche Verunreinigungen  vermeiden.

Niemand würde einen reinen Diamanten in den Schlamm werfen. Ebenso wenig können wir uns den Luxus erlauben, unsere reinen und mehr oder weniger dauerhaften Gefühle zu verschmutzen, indem wir sie durch Zweifel, Wut, Bosheit, Zorn, Gedankenlosigkeit usw. verderben.

Wenn unsere Gefühle entgleisen, sich mischen oder absinken, wenn sie herabgewürdigt, verkleinert oder vergrößert werden wie ein Krebsgeschwür, sind wir mit gefährlichen Denaturierungsprozessen konfrontiert. Oft ist das, was wir als „Wahnsinn“ bezeichnen, nichts anderes als ein völliges Missverhältnis in Bezug auf die reiche Natur, in die sich alles fügt, solange wir uns nicht gegen ihre Gesetze stellen.

Wenn das geschieht, kann man nicht mehr von Gefühlen sprechen. Was in den Händen eines sorgfältigen Gärtners eine zarte Pflanze war, ist jetzt ein trockenes, stacheliges Gestrüpp, an dem sich der, der es anfasst, verletzt. Wie eine fleischfressende Pflanze, die alles verschlingt, was sich ihr nähert … entsteht unkontrollierte Leidenschaft, krankhafte Begierde, maßlose Besessenheit, ein außer Kontrolle geratener Kreisel, der seinen Mittelpunkt verloren hat.

Sterben Gefühle?

Gefühle

Sicherlich, so wie alle lebenden Dinge. Ihre Dauerhaftigkeit jedoch hängt von uns ab.

Wenn wir uns selbst so akzeptieren wie wir sind, aber von anderen – und von den Dingen generell – vollkommene Perfektion erwarten, ist das ein Todesurteil für unsere Gefühle.

Wenn uns andere Verständnis entgegenbringen sollen, wir jedoch selbst unfähig sind, uns in sie einzufühlen, wenn wir nur verlangen, aber nicht bereit sind, zu geben, ist kein Gefühl möglich.

Und was, wenn ein Gefühl gestorben ist?

Keine Sorge: Nichts stirbt, alles verwandelt sich. Aus scheinbarer Gleichgültigkeit, aus trockenem Winterboden wird ein neuer Spross der Liebe oder des Hasses aufkeimen, und du wirst wieder dein Spiel mit den Gefühlen treiben, die Edelsteine sind, auch wenn du sie vielleicht nicht als solche erkennst.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 155 (1/2019) des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.

 

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