Lebenskunst – Veränderungen
„Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel.“ Dieses Zitat von Charles Darwin erinnert an die Aussage von Heraklit: „Du kannst nicht zwei Mal in denselben Fluss steigen.“ Gerade weil Veränderungen allgegenwärtig sind, sehnen wir Menschen uns nach Stabilität und Dauerhaftigkeit. Um diese zu erreichen, müssen wir uns oft verändern. Was ändert sich und was bleibt?
Streben nach Vervollkommnung
Alles in der Natur strebt nach Vervollkommnung. So auch der Mensch. Seit er die Bühne der Geschichte betrat, suchte er durch Gründung von Zivilisationen, Entwicklung von Kulturtechniken und Erfindungen, der Welt den Stempel seines Geistes aufzudrücken. Durch schöpferische Energie und Willenskraft transformiert er die Materie. Doch nicht nur darin äußert sich dieses urmenschliche Bedürfnis, sondern auch in der Suche nach der Vervollkommnung seiner selbst.
Die geistigen Übungen der Philosophieschulen, der Klöster jeglichen Glaubens und aller spirituellen Richtungen zielen auf eine bewusste Veränderung und Entwicklung des Menschen hin. Dies hat heute wieder Hochkonjunktur: Unzählige psychologisch-spirituelle Ratgeber überschwemmen den Buchmarkt, zahlreiche Seminare vermitteln Tipps und Tricks, wie man glücklicher, bewusster, entspannter werden kann. Die werden kurz mal ausprobiert und dann geht man zur Tagesordnung über. Echte Veränderungen sind selten und oft nur durch disziplinierte Übungen über Jahre und Jahrzehnte oder durch schweres Leid möglich.
Veränderungen des Körpers
Diese sind konstant in unserem Leben, wir wachsen in den ersten Lebensjahren sehr schnell, erreichen eine kurze Blüte und dann verfällt unser Körper wieder, bis er seine Lebenszeit ausgeschöpft hat und die unsterbliche Seele ihn verlässt. Während dieser Spanne erleben wir Krankheiten, Verletzungen, Gewichtszu- und abnahmen, die Frauen Fruchtbarkeitszyklen, Erneuerung der Zellen alle sieben Jahre … Die Fitness unterliegt einem Wandelprozess, wir selbst können durch Veränderung unserer Lebensgewohnheiten den Körper gesund und aktiv erhalten – auch im fortgeschrittenen Alter.
Veränderungen der Lebensenergie
Unser Energieniveau ist einerseits stark von unserer körperlichen Fitness (und diese auch vom Alter) abhängig, und andererseits wird es sehr stark von unseren Emotionen geprägt. Verliebte Menschen haben unendlich viel Energie, brauchen kaum Schlaf und Nahrung, denn sie sind von ihren Instinkten und Hormonen aufgeputscht. Zuversichtliche Menschen mit einer positiven Lebenshaltung sind gesünder, erfolgreicher im Leben, zufriedener. Dunkle Gedanken rauben uns die Lebenskraft, machen uns müde, antriebslos, lassen uns bei Schwierigkeiten leichter aufgeben. Unsere Psyche hat einen enormen Einfluss, unser Denken bestimmt unser Lebensglück.
Die größte Entscheidung deines Lebens liegt darin, dass du dein Leben ändern kannst, indem du deine Geisteshaltung änderst. (Albert Schweitzer)
Damit beginnt alles. Es ist jedoch nicht genug. Robert Jungk, Publizist und einer der ersten Zukunftsforscher, hat es auf den Punkt gebracht: „Denn sie können nicht, was sie wissen.“ All die oben erwähnten Bücher und Seminare, guten Tipps etc. bleiben oft in der Theorie stecken und werden nicht in die Praxis umgesetzt. Die Anwendung ist nur individuell durchführbar, hier sind wir einzig und allein auf uns gestellt. Laut Platon wohnt im Menschen die unsterbliche Vernunft, die uns mit dem Göttlichen verbindet und mit deren Hilfe wir die menschliche Natur verwandeln und veredeln können.
Die Zähmung des schwarzen Pferdes
Platon hat in seinem Dialog Phaidros die menschliche Seele mit einem geflügelten Wagen verglichen, der von zwei Pferden völlig unterschiedlicher Natur gezogen wird. Das Gespann besteht aus einem schwarzen und einem weißen Pferd und einem Kutscher. Während das weiße Pferd schön, gut, gelehrig und edel ist, folgt das schwarze Pferd brutal seinen Instinkten. Dieses Gespann ist ein Symbol für die dreifache menschliche Seele.
Zuerst sind da unsere irdischen Impulse, unser unruhiger Geist, leidenschaftlich, instinktgesteuert, egozentrisch. Zum Zweiten sind da die großzügigen Impulse unseres Herzens, die Ehre, der Mut. Der Kutscher schließlich symbolisiert die logische und mäßigende Vernunft, unseren unsterblichen Seelenteil. Ihre Aufgabe ist nicht, das schwarze Biest zu töten, noch die manchmal zu heftigen Ausbrüche des weißen zu betäuben. Er muss die beiden Pferde zähmen, dem Seelenwagen ein Ziel geben und sich die Fähigkeiten und Kräfte beider Pferde zunutze zu machen.
In der Praxis bedeutet das, sich zu beobachten (der Kutscher!), sein Temperament zu zügeln, sich zu beherrschen. Und neue Verhaltensweisen auszuprobieren, Einstellungen zu hinterfragen und abzulegen und sich mühsam neue Fertigkeiten anzueignen. Der Kampf mit den eigenen Pferden bedarf ständiger Anstrengung und Überwindung. Immer wieder gehen sie mit uns durch, wir erleiden Rückschläge und sind mit den eigenen Begrenzungen konfrontiert. Doch unser Wille und unsere Vernunft sind stärker, wir können uns immer und immer wieder aufs Neue erheben. Ein wesentlicher Aspekt ist die Entwicklung von geläuterten Verhaltensweisen – den Tugenden.
Der Erwerb von Tugenden
Für die antiken griechisch-römischen Philosophieschulen war das Alltagsleben ein Übungsfeld für positive, willentliche Veränderungsprozesse und die Entwicklung von Tugenden.
Nehmen wir als Beispiel die Tugend der Mäßigkeit. Ich kann sie täglich mehrmals trainieren: bei den Mahlzeiten und anderen Genüssen, dem Fernsehen oder Internet. Und indem ich mein Temperament mäßige bei Meinungsverschiedenheiten mit meinen Arbeitskollegen.
Oder den Mut. Nehme ich Herausforderungen an oder drücke ich mich? Erleide ich Ungerechtigkeiten mit einer Opferhaltung oder spreche ich Missstände an?
Großzügigkeit: Gebe ich, bevor ich empfange? Kann ich verzeihen, wenn mich jemand verletzt? Gönne ich meinem Freund einen Erfolg, kann ich mich mitfreuen oder bin ich neidig?
Tugenden sind energetische Realitäten, die unseren unsterblichen Seelenteil anreichern und erleuchten. Sie bleiben, wenn unsere beiden Pferde, die Lebensenergie und der Körper vergehen.
Das Ziel der Veränderung
Unsere Willenskraft ist der Motor für die Veränderung, jedoch brauchen wir eine Finalität. Wozu soll ich mich verändern? Was ist der Sinn des Lebens, was ist mein Lebensziel? Das materialistische, konsumorientierte Lebenskonzept hat sich überholt, ein tief greifender Wandel steht bevor. Man sehnt sich nach einer neuen Zivilisation, nach einer „besseren“ Welt mit gelebten Werten und Tugenden, Respekt vor der Natur und allem Leben, gerecht, friedlich und lebenswert für jeden Weltbürger. Diese neue und bessere Welt beginnt bei jedem einzelnen Menschen, jeder kann Vorbild sein und andere inspirieren, das Beste in sich zu verwirklichen. Dies kann uns niemand nehmen, wir haben alle Macht der Welt, uns zu verwandeln:
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für die Welt! (Mahatma Gandhi)