PhiloSlam: Über friedvolle Krieger
„Jetzt habe ich alles gelernt, was ich zum Überleben brauche“, dachte Erwin, als er seine Bäckerlehre beendet hatte. Er konnte nun Brot kneten und Brezeln formen und damit ein angemessenes Gehalt verdienen. Er konnte sich eine kleine Wohnung leisten, stets frische Lebensmittel einkaufen und auch einmal pro Woche ins Kino gehen oder ein Bier in der Bowlingbahn trinken.
„Nur eines hat man mich nicht gelehrt“, dachte er. „Wie werde ich ein guter Mensch?“.
Wenn er sich umsah in der Welt, dann sah er vor allem das Schlechte. Die Menschen auf der Straße hatten schlechte Laune und lachten höchstens ihre Bildschirme an. Die Menschen im Fernsehen verhielten sich schlecht. Sie taten nichts dafür, dass es allen gut ging, sondern waren gierig nach Geld und Macht. Seine Freunde waren nett. Aber auch sie machten Fehler und waren dadurch oft unglücklich. Niemand schien zu wissen, wie man ein gutes, glückliches Leben führt.
In der Lehre war es einfach gewesen. Der Bäckermeister hatte gewusst, wieviel Gramm Mehl in das Roggenbrot kam. Und für wie viele Minuten die Apfeltaschen im Ofen bleiben mussten.
Aber wenn niemand wusste, wie man gut lebt – wie sollte er hierfür einen Meister finden?
„Wenn ich ihn hier nicht finde, dann vielleicht an einem anderen Ort“, dachte sich Erwin. Also reichte er in der Bäckerei seinen Urlaub ein, packte allen nötigen Kram zusammen, und zog los, seinen Meister zu finden.
Die ehrliche Katze
Am ersten Tag seiner Wanderung war er schon nachmittags sehr erschöpft, denn er war das viele Laufen nicht gewöhnt. Auch war er unglücklich, denn egal wohin er kam, sah er nur unzufriedene Menschen aber keinen Meister. Er lies sich zum Rasten auf einer Bank nieder und genoss den frischen Wind. Eine Katze gesellte sich zu ihm und er war so froh über diese Gesellschaft, dass er die Katze packte, um sie zu sich auf die Bank zu setzen. Diese aber kreischte entrüstet und verpasste ihm einen tiefen Kratzer in der Hand. Sofort lies er sie los, geschockt über die brennende Wunde. Er schämte sich für sein unüberlegtes Handeln und dachte nach: „Eine Katze ist immer ehrlich. Sie macht nicht gute Miene zum bösen Spiel. Ist sie unzufrieden, so zeigt sie das auch. Bei ihr weiß man immer, woran man ist.“
Die freundliche Hüttenwirtin
Erwin zog weiter, denn er wollte noch vor Anbruch der Dunkelheit eine Herberge erreichen. Die Besitzerin winkte ihm schon von Weitem zu und empfing ihn mit einer herzlichen Umarmung. Sie gab ihm heiße Suppe und fragte freundlich und interessiert nach dem Grund seiner Reise. Das Gespräch tat im gut und er fühlte sich willkommen. „Echte Freundlichkeit ist selten“, dachte er sich. „Denn sie ist ehrlich und hat nichts mit der Heuchelei derer zu tun, die einem etwas verkaufen wollen.“ Er beschloss, in Zukunft auch öfter aufrichtig freundlich zu sein. Denn das tat allen Menschen gut.
Der großzügige Apfelbaum
Am nächsten Tag brach er früh auf und lief durch grüne Wälder und über saftige Wiesen. Hier draußen einen Meister zu finden, war sehr unwahrscheinlich. Aber Erwin genoss die Schönheit der Natur und bewunderte den Fleiß der kleinen und großen Tiere. Auf einer Lichtung fand er einen Apfelbaum, der reich beladen war mit reifen, saftigen Äpfeln. Die schweren Äste hingen tief und er konnte genug pflücken, um sich satt zu essen und noch einige Früchte als Proviant in seinem Rucksack zu verstauen. Er blieb noch eine Weile bei dem Baum sitzen und war ihm dankbar für seine Großzügigkeit. Die Natur gab den Tieren und Menschen so viel. Sie geizte nicht mit frischem Wasser und guten Früchten und verlangte auch nichts zurück. Die Menschen dagegen nahmen oft nur oder wollten, dass alles auf den Cent genau ausgeglichen war. Erwin nahm sich vor, dem nächsten Wanderer, den er treffen würde, ein paar seiner Äpfel zu schenken. Denn das würde sie beide glücklich machen.
Guter Wein und rechtes Maß
Die Nacht verbrachte Erwin in einer sehr einfachen Unterkunft. Im Speisesaal traf er auf drei Wanderer. Sie unterhielten sich gut und blieben nach dem Abendessen noch sitzen, spielten Karten und tranken Wein. Nachdem die erste Flasche geleert war, war die Stimmung beschwingt. Nach einer weiteren Flasche begann man, laut zu singen. Nach der dritten Flasche brach ein hitziger Streit aus und man begab sich missmutig zu Bett. Der nächste Morgen war grauenvoll, denn Erwins Kopf schmerzte. Er verteufelte den Wein und schwor sich, nie wieder so viel zu trinken. Er erinnerte sich, wie ausgelassen die Stimmung am frühen Abend gewesen war und stellte fest, dass Gutes nur solange gut war, wie man es im richtigen Maß genoss.
Nun war Erwin schon einige Tage lang durchs Land gezogen und hatte viel gesehen. Doch von einem Meister keine Spur. Bald würde sein Urlaub zu Ende sein und er musste zurück in die Backstube.
Meister für jeden Tag
Sein Weg führte ihn an einem Kloster vorbei und er beschloss, dort anzuklopfen. Denn er wusste, dass Mönche oft sehr weise waren und ein zufriedenes Leben führten. Ein junger Mann in Mönchskutte lies ihn herein und führte ihn wie selbstverständlich in einen großen Speisesaal. Dort servierte er Erwin frisches Wasser und eine kleine Mahlzeit.
Erwin war fasziniert von der Gutmütigkeit und der zufriedenen Ausstrahlung seines Gegenübers. Wieder fand er einen interessierten Zuhörer, dem er vom Grund seiner Reise und den bisherigen Erlebnissen erzählte. „Ich habe viel gesehen“, endete Erwin. „Aber einen Meister habe ich nicht gefunden.“ Da lachte der Mönch laut auf und Erwin wurde rot und überlegte, ob er etwas Dummes gesagt hatte.
„Du hast nicht nur einen Meister gefunden“, sagte der Mönch und legte eine Hand auf Erwins Schulter, „sondern jeden Tag einen anderen.“
2 Antworten
Starke Texte und starke Musik! Das stärkt die Seele!
Toller Artikel, gefällt mir gut. Ich habe diesen auf Social
Media geteilt und ein paar Likes dafür bekommen. Weiter so!