Leben gestalten – Einige Ratschläge

Leben gestalten – Einige Ratschläge

Als Philosophen in Treffpunkt Philosophie fühlen wir uns eng mit den Alten und ihren Weisheiten verbunden und versuchen das, was sie uns lehrten, in einer praktischen und philosophisch ausgerichteten Lebenshaltung umzusetzen. Wie können wir unseren Alltag geistig neu gestalten und bessere „Lebenskünstler“ im höchsten Sinne des Wortes werden?

„Ehrt die Wahrheit durch ihre Ausübung.“ – Helena Petrowna Blavatsky

Eines der Geheimnisse der Kunst der Lebensführung ist – wie alle großen Wahrheiten – sehr einfach.  Alle weisen Ratschläge, ob sie nun der Bhagavad Gita der Hindus entnommen sind (die ein Alter von mindestens fünftausend Jahren hat), von den römischen Stoikern stammen (also vor zweitausend Jahren geschrieben wurden) oder einem Handbuch über Zeitmanagement aus unseren Tagen entnommen sind, verkünden die gleiche goldene Regel: Der Mensch muß handeln. Die schönsten Worte, Tips und Empfehlungen nützen nichts, wenn man sie nicht in die Tat umsetzt. Jeder von uns kann sein eigenes Leben gestalten. Diese Arbeit nimmt uns niemand ab.

So wie wir allein sind bei der Geburt und beim Sterben, so sind wir eigentlich auch zwischen Anfang und Ende allein und für unser Leben eigenverantwortlich.

Das soll nicht heißen, daß wir unser Leben nicht teilen, vielmehr müssen wir ihm eine Richtung und Dynamik verleihen, und deshalb müssen wir es aktiv in die Hand nehmen. „Sei nicht müßig, sondern handle!“ sagt schon die Bhagavad Gita. In unseren Händen liegt es, aus unserem Leben etwas zu machen.

Das Leben gestalten

Philosophie Leben gestalten

Wenn wir über das ganze lange Leben nachdenken, dürfen wir dabei nicht vergessen, daß unser jahrzehntelanges Dasein aus Jahren, Monaten, Wochen und diese wiederum aus Tagen zusammengesetzt sind. Unser Leben besteht aus einer Kette von Alltagen, und diese Alltage müssen wir sehr gut beachten. Wie sagt schon ein altes Sprichwort: „Wer den Heller nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.“ Das kann man umformulieren: „Wer den Alltag nicht gestaltet, wird sein Leben nicht erfüllen.“ Natürlich ist der große Atem, längerfristige Ziele oder der Lebensplan an sich wichtig, das gibt dem Leben ein Ziel und seinen Sinn. Aber der Weg dahin besteht aus kleinen Schritten, aus dem sogenannten grauen Alltagstrott. Und diese „grauen“ Alltage müssen wir verwandeln in hell glänzende Perlen auf der Kette des Lebens. Jeder einzelne Tag ist wichtig, das hat schon Marc Aurel, der stoische Philosophenkaiser so formuliert: ,,Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter.“ Wenn wir also Betrachtungen über das Leben an sich anstellen wollen, müssen wir uns den kleinen Teilen des Lebens, dem Alltäglichen, genauso widmen wie dem großen Lebensplan.

Beides muß man im Bewußtsein tragen und beachten: den letztendlichen Sinn des Lebens zum einen und die Sinnhaftigkeit jedes einzelnen Tages zum anderen. So wird man den Weitblick bewahren und trotzdem die Augenblicke erleben können. Allerdings: wie alles im Leben ist dies nicht leicht und muß erlernt werden. Und wenn wir von der „Kunst“ zu leben sprechen, so muß man diese Kunst genauso wie alle anderen Kunstfertigkeiten nach und nach erlernen.

Die fünf  Künstler-Tugenden

Philosophie Künstlertugenden

Erich Fromm hat in seinem wunderschönen Büchlein „Die Kunst des Liebens“ fünf Tugenden oder Fähigkeiten beschrieben, die man braucht, um ein guter Künstler zu werden. Jeder Künstler, und sei er auch noch so begabt und genial, kommt nicht umhin, folgende psychische Fähigkeiten in sich auszubilden:

Unbedingtes Interesse

„Inter-esse“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich: darinnen, dazwischen sein, in etwas sein. Wir müssen in dieser Kunst aufgehen, uns ihr wirklich widmen und uns engagieren. Und täglich müssen wir unser Interesse neu bestätigen, erneuern und uns selbst motivieren.

Selbstdisziplin

Dieses Wort bzw. diese Tugend ist gar nicht beliebt in unserer Zeit. Wenn man den Begriff aber von seinem Wortstamm her betrachet, wird man entdecken, daß Disziplin sehr eng mit discipulum – der Schüler – verwandt ist. Disziplin bedeutet, daß man sich in der Schülerschaft stehend empfindet, daß man etwas lernen will, und dazu braucht man Anstrengungen, Regelmäßigkeit, unerbittliches Streben. Will ich es wirklich zu etwas bringen, darf ich kein Gefangener meiner Launen sein, sondern muß diese beherrschen und mich von ihnen befreien. Ich darf das große Ziel – ein Meister oder Künstler zu werden – nicht aus den Augen verlieren und muß daraus die Kraft für die kleinen Schritte schöpfen. Dazu ist die Entwicklung einer großen Willenskraft notwendig.

Konzentration

Auch dies ist ein lateinisches Wort und heißt soviel wie: mit dem Zentrum sein. Wir müssen also unser Interesse, unser Engagement bündeln und uns tatsächlich mit jener Sache beschäftigen, die wir gerade machen. In unserer hektischen und schnellebigen Zeit machen wir ständig viele verschiedene Dinge auf einmal und gleichzeitig und deshalb nichts davon richtig. Wir fahren Auto, essen, hören Musik und lesen gleichzeitig Zeitung, oder wir sehen fern, unterhalten uns und stricken usw. Das alles führt zu Ablenkung und Zerstreuung, denen wir bewußt und aktiv entgegenwirken müssen, indem wir uns mit unserer ganzen Energie und Willenskraft auf eine oder wenige Sachen konzentrieren und alles andere abweisen.

Geduld

,,Geduld ist eine Form des Glaubens“, wie der Philosoph J. A. Livraga, Gründer von Neue Akropolis, einmal bemerkte. Das Vertrauen und die Gewißheit, daß man zum Ziel gelangen wird. Eine chinesische Weisheit sagte: ,,Jeder Tausend-Meilenweg beginnt mit dem ersten Schritt.“

Wir erwarten Erfolge meistens zu früh oder wünschen uns radikale Änderungen. „Ab morgen wird alles anders!“ – wie oft nimmt man sich das vor. Wenn wir aber eine Kunst wirklich gut erlernen wollen, dann braucht das seine Zeit.

In unsere heutige Welt, wo man immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigen oder produzieren will, passen jene Dinge schlecht, die reifen müssen. Aber ein guter Wein muß lange lagern, und die Kunst der Lebensführung lernt man nicht in einigen Wochen oder Monaten, sondern das ganze Leben lang.

Übung

Dies ist das letzte Handwerkszeug, das man zur Ausübung jeglicher Kunst benötigt. Und außerdem muß man auch jeden der oben angeführten Punkte üben. Geduld, Konzentration und Disziplin müssen erarbeitet und trainiert werden. Das Interesse oder der große Wunsch, eine Kunst zu erlernen, müssen erneuert werden. Man muß sich darin üben, sich selbst immer wieder neu zu motivieren, sich immer wieder selbst begeistern zu können.

Jeder von uns kennt das: Beginnt man eine Sache neu, so ist die Freude und der Anfangsimpuls sehr groß; ist die erste Begeisterung verraucht, bemerkt man, daß die Dinge nicht mehr wie von selbst gehen, sondern daß man sich selbst antreiben muß. Viele Dinge scheitern an diesem Übergang. Es ist wie in einer Liebesbeziehung: Am Anfang schweben wir „im siebten Himmel“, erleben glückliche Stunden. Die Harmonie ist perfekt. Nach den ersten Meinungsverschiedenheiten und Differenzen ist die Anfangsseligkeit weg, und wir müssen mit der Arbeit an uns selbst und aneinander beginnen.

Oder denken wir an den biblischen Mythos von der Vertreibung aus dem Paradies: Adam und Eva lebten in einem Zustand unbewußten Glücks. Erst als sie vom Baum der Erkenntnis (von Gut und Böse) eine Frucht aßen, „erkannten sie“. Sie mußten das Paradies verlassen – die Zeit der Kindheit war vorbei –  und sich in das Leben stürzen. „Und im Schweiße Eures Angesichts sollt Ihr Euer Brot verdienen“ – Das Leben besteht also aus Übung, Arbeit und Anstrengung, wodurch wir den paradiesischen Glückszustand mit Bewußtsein zurückerobern können. Denn der ist glücklich, der selbst sein Leben führt und in die Hand nimmt.

Ja, und nach all den klugen Tips noch das Wichtigste: Wir müssen auch ein bißchen nett zu uns selbst sein. Wir dürfen nicht zu viel von uns verlangen und sollen uns immer wieder etwas „gönnen“. Andererseits aber dürfen wir auch nicht zu lasch sein; ab und zu eine richtige Anstrengung, ein kleiner Sieg über uns selbst, tut unserer Willenskraft und unserem Selbstwertgefühl ganz gut. Als Faustregel gilt – das hat schon Buddha erkannt  –  der goldene Mittelweg!

Literatur:

  • Erich Fromm: Die Kunst des Liebens, Ullstein 1982

  • Kybalion, Akasha

  • G. Jung: Grundwerk, Band 9: Mensch und Kultur, Walter 1985

  • Epiktet: Handbüchlein der Moral und Unterredungen, Kröner 1984

  • Marc Aurel: Selbstbetrachtungen,  Kröner 1973

  • Seneca: Vom glückseligen Leben,   Kröner 1978

  • Seneca: Von der Kürze des Lebens, Reclam 1977

  • Lothar J. Seiwert: Das 1×1 des Zeitmanagements, Gabal 1989

 

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