Der ka(n)tegorische Imperativ

Der ka(n)tegorische Imperativ

Der kategorische Imperativ

Das Einzige, das auf der Welt wirklich gerecht verteilt ist, ist Intelligenz. Jeder glaubt genug davon zu haben.

Ein sehr einprägsames Zitat eines griechischen Philosophen, ich schreibe es in Ermangelung einer verlässlichen Quelle Sokrates zu. Um den kategorischen Imperativ, die bekannteste ethische Norm von Immanuel Kant, aus den abstrakten Sphären intellektueller Philosophie in das tägliche Leben zu holen und auf seine Anwendbarkeit zu überprüfen, bedarf es auch einiger Intelligenz. Betrachten Sie diesen Beitrag als Versuch, das Problem kurz und bündig zu beschreiben.

Die gängigste Formulierung des kategorischen Imperativs lautet:

Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.

(Als § 7 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft in der „Kritik der praktischen Vernunft“)

Grundsätzliche Absichten im Alltag formulierenDer kategorische Imperativ

Wenn Sie den Versuch unternehmen, diese scheinbar einfache Regel im täglichen Leben anzuwenden, seien Sie vorgewarnt: Es ist nicht ganz so einfach, wie es aussieht. Sich dieser Regel auf rein intellektuellem Weg oder „logisch“ zu nähern, ist sehr anspruchsvoll oder unmöglich, wie manche behaupten. Zuerst einmal setzt es voraus, dass wir bei unserem Handeln eine klar formulierte Maxime, eine grundsätzliche Absicht, formulieren können. Haben Sie das schon einmal versucht?

  • Was ist Ihre ethisch brauchbar formulierte Willensmaxime beim Zusammenstellen des Speiseplans für das nächste Wochenende?
  • Oder beim Besuch bei den Schwiegereltern?
  • Oder bei der Jobsuche?

Es wird selten der Fall sein, dass wir eine logische, konsistente und auch noch verständliche Hierarchie unserer Wertvorstellungen besitzen, die eine konkrete alltägliche Handlung in eine „Willensmaxime“ münden lassen, nach der sich ein allgemein gültiges Gesetz formulieren ließe.

Ich lade Sie ein, den Test zu machen

Gerade im „banalen“ Alltag sind die Motivationen für Handlungen so vielschichtig, dass man keine brauchbare Maxime in einem logischen Verfahren ermitteln kann. Rasch verstrickt man sich in Widersprüche oder kommt nur zu allgemeinen Aussagen, dass sie auch wieder unbrauchbar sind. Wenn Sie es einmal versuchen, werden Sie vielleicht ähnliche Erfahrungen machen.

Und dennoch hat Kant Recht, er trifft einen Punkt, der auch in anderen Kulturen und Philosophien angesprochen wird: Verfolge solche Ziele, dass die Welt besser werden würde, wenn alle Menschen sie verfolgen würden. In der buddhistischen Philosophie beispielsweise existiert die Lehre vom heiligen achtfachen Pfad als eine Anleitung zum ethisch richtigen Handeln. Ein Element dieser Anleitung ist die „rechte Absicht„. Buddha war der Meinung, dass man beim Handeln regelmäßig die eigene Absicht kritisch hinterfragen soll.

  • Warum tue ich das, was ich tue?
  • Was bezwecke ich damit?
  • Ist es eine Absicht, die ich vor mir selbst vertreten kann und die ich als allgemein gültig gut anerkenne?

Der kategorische Imperativ ist eine ethische Regel, an der man nur sich selbst messen kann

Der kategorische Imperativ

Auch wenn die Formulierung Kants nicht leicht zu verstehen ist, ist sie dennoch sehr weise: denn der kategorische Imperativ ist eine ethische Regel, an der man nur sich selbst messen kann. Aus diesem Grund können verschiedene Menschen mit der gleichen Absicht verschiedene Wege einschlagen und zu anderen Entscheidungen gelangen.

Mit der Absicht Frieden zu schaffen, kann man einerseits Wehrdienstverweigerer werden, aber auch den anderen Schluss ziehen und Soldat werden, je nach persönlichem Hintergrund. Beide Wege können richtig sein, sie dann zum Ziel zu führen, hängt von unserer Absicht ab. Ein Soldat, der tatsächlich den Frieden liebt und ihn beschützt, ohne zu unnötiger Gewalt zu neigen, kann tatsächlich Sicherheit und Frieden schaffen. Wenn es aber nicht die Möglichkeit gibt, in einem menschenwürdigen System Soldat zu sein, kann es besser sein, Wehrdienstverweigerer zu werden.

Die Mittel und Werkzeuge, die wir einsetzen, um unsere Absichten zu erreichen, hängen von vielen historischen, religiösen, kulturellen und persönlichen Faktoren ab, die Regel Kants ist jedoch allgemeingültig. Wenn man Kant also richtig versteht, ist er damit für die Toleranz eingetreten. Aus den Mitteln kann man nicht auf die Absicht schließen, man sollte den Weg eines anderen daher ebenso respektieren, wie man selbst respektiert werden möchte. Damit ist nicht gesagt, dass der Zweck die Mittel heiligt:

Die Mittel sollen dem Zweck angemessen sein, aber Vorsicht mit einem Urteil über andere Menschen, ehe man sie wirklich versteht.

Die Logik im Buddhismus

Der kategorische Imperativ

Der Buddhismus sieht eine wichtige Frage allerdings ganz anders als die abendländische Philosophie: Logik ist zwar wichtig, aber nicht die letzte moralische Instanz im Leben. In letzter Instanz ist es im Buddhismus sogar wichtig, die rein intellektuelle und formale Logik zu überwinden, um die Wahrheit erkennen zu können. Das zeigt sich in den logisch nicht lösbaren Rätseln des Zen-Buddhismus, den Koans. Bei Kant hingegen kommt es zentral auf die Vernunft des Menschen an. Meint er damit nur Logik oder etwas anderes? Eines ist sicher: Aus der Logik allein lässt sich ethisches Handeln nicht ableiten.

Es ist daher einfacher und zielführender, ausgetüftelte Überlegungen beiseite zu lassen und sich auf den Kern des kategorischen Imperativs zu konzentrieren: Wäre es gut (wenn ich einmal ehrlich zu mir selber bin), wenn alle Menschen die gleichen Absichten verfolgen wie ich? Neben der Richtigkeit und Übertragbarkeit jedes einzelnen Zieles spielt dabei auch die Ausgewogenheit der verschiedenen Ziele untereinander eine Rolle. Wenn ich mich nur auf ein einziges Ziel konzentriere, resultiert daraus zwangsläufig eine unausgewogene Haltung, die zu Problemen führt, wenn alle Menschen derart einseitig orientiert handeln.

Die Vernunft reicht über die Logik hinaus

Der kategorische Imperativ

An mehreren scheinbar widersprüchlichen Aussagen Kants ist erkennbar, dass die Vernunft über die Logik hinausreicht. Die Vernunft beinhaltet

  1. einerseits den Willen des Menschen, den Urimpuls aller Handlungen, aber auch
  2. die Fähigkeit, diesen Willen Realität werden zu lassen und in angemessene Taten umzusetzen (deswegen „praktische Vernunft“).

Er ist das Werkzeug, das unsere Logik mit dem ethischen Empfinden, dem Gewissen, dem Gerechtigkeitsgefühl in Beziehung bringt. Er ist bei Kant das „Missing Link“, die natürliche Menschlichkeit, der Sinn für das Gute, Edle und Schöne, das wir oft an uns selbst und in der Gesellschaft vermissen.

Wenn man daher der Meinung ist, ausreichend Intelligenz zu besitzen, ist die kritische und ehrliche Überprüfung der eigenen Absichten der erste Schritt, diese Intelligenz zu demonstrieren und sich dem kategorischen Imperativ zu nähern. Kant würde sich darüber freuen, und unsere Mitmenschen wahrscheinlich auch.

 

Eine Antwort

  1. Eros Lumia sagt:

    Hallo,

    dieser Artikel hat mir geholfen, den kategorischen Imperativ besser zu begreifen. Es ist wirklich interessant, wie sich Kant die Welt vorstellt. Der Mensch soll so handeln, wie jeder handeln sollte.

    Manchmal ist es tatsächlich schwer, eine Maxime als allgemeine Regel zu formulieren, weil sie sich in vielen Aspekten wahrscheinlich widersprechen würde. Dies ist jedoch bekannt. Auch in unseren Gesetzverfassung findet man Widersprüche. Gerade der Paragraph zum Haschischkonsum in Deutschland und in anderen Ländern widerspricht sich sehr: Man darf die Substanz nicht besitzen, jedoch konsumieren. Ich stelle mir jedes Mal aufs Neue die Frage, wie es sein kann, dass man etwas konsumiert, aber nicht gleichzeitig besitzen kann?

    Grundsätzlich tolles Layout, und insbesondere gefällt mir den Bezug auf der buddhistischen Wertorientierung. Es ist toll, dass man Aspekte aus einer philosophischen Position mit Lehren aus einer Religion in Bezug setzen kann. Letztendlich beweist es nur, wie ähnlich die menschliche Spezies ist. Wir denken ähnlich, formulieren es aber anders oder betiteln es anders, jedoch meinen wir oftmals dasselbe.

    Vielen lieben Dank für den tollen Artikel.

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