Jenseits der Worte

Jenseits der Worte

Worte

Das Hören der Worte ist eine Sache, aber das zu hören, was in der Stille liegt, eine ganz andere. Zu hören, was zwischen, unter und über den Zeilen liegt, was nicht gesagt wird, ist die wahre Kunst der Kommunikation –
das ist die Magie, die uns Verbindungen schaffen lässt.

Mütter erleben einen Austausch, der einzigartig ist. Wenn eine Mutter ihr Baby vor Hunger weinen hört, wird ihr Milchfluss automatisch angeregt. Das Kind kommuniziert mit dem Körper der Mutter ohne ein einziges Wort. Als
Kinder haben wir noch die Fähigkeit, auf ganz natürliche Art und Weise zu kommunizieren. Kinder schließen Freundschaften oder entwickeln scheinbar grundlose Antipathien noch lange vor dem Spracherwerb oder vor der Fähigkeit, komplexe Körpersprache bewusst einzusetzen.

Doch auch trotz der Fähigkeit, Sprache nutzen zu können, gebrauchen Kinder sie nicht, um sich untereinander mitzuteilen. Das geht so weit, dass Kinder unterschiedlicher Muttersprachen Freundschaften entwickeln und stundenlang miteinander spielen können.

Die Kommunikation jenseits der Worte ist auch ein in der Kunst gerne aufgegriffenes Thema.

Die Künstlerin Marina Abramovic gab 2010 eine Performance mit dem Titel „The Artist is Present“, die bis heute in der Szene als legendär gilt: Für die Dauer der Ausstellung saß Abramovic einem Stuhl gegenüber, auf dem die Besucher einzeln Platz nehmen konnten, um der Künstlerin für einige Minuten schweigend in die Augen zu sehen.

Einer der berührendsten Momente der Ausstellung war wohl, als ihr ehemaliger Lebensgefährte und Performance-Partner Ulay ihr gegenüber Platz nahm und beiden schweigend Tränen über die Gesichter liefen, während ihre Seelen einander begegneten. Doch auch Besucher, die Abramovic nicht nahestanden, erlebten teilweise einen sehr bewegenden Austausch – wie auch die Künstlerin selbst.

Ich empfehle Ihnen deshalb, einmal selbst diesen intensiven Austausch zu erfahren, am besten mit einem geliebten Menschen, indem Sie einander einfach für einige Minuten schweigend und mit Offenheit tief in die Augen blicken. Horchen Sie auf das, was Worte niemals aussagen könnten.

Wir sind meist angehalten worden, zu argumentieren und zu überzeugen. Da bleibt nur wenig Platz zum Zuhören. Und wir tendieren dazu, während der andere noch spricht, gedanklich schon an der Antwort zu feilen und den Moment abzupassen, an dem wir diese auch geben können.

Doch sind es das Zuhören und das Wahrnehmen, die das Gegenüber jenseits der Worte kommuniziert, die Raum für authentische Begegnungen schaffen – dort liegt die Magie, die uns tiefe Verbindungen erfahren lässt.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 165 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.