Osiris, du fliegst als Schatten
Und wie der Schatten zum Triumph wird
Die Ägyptologin Sylvie Cauville-Colin entdeckt den Hintergrund zum Tierkreis von Dendera und seine Bedeutung für die jahrhundertelang zelebrierte „pflanzliche Wiedergeburt“ des Osiris.
Sylvie Cauville-Colin ist spezialisiert auf Hieroglyphentexte. Die Französin ist seit über 20 Jahren wissenschaftliche Leiterin des Zentrums für ägyptologische Forschung der Sorbonne-Universität Paris und arbeitet an der Tempelanlage in Dendera.
In kongenialer Zusammenarbeit mit dem Astrophysiker der Atomic Energy Commission, Eric Aubourg, gelang es, den steinernen Tierkreis an einer der Decken des Hathor-Tempels in Dendera einwandfrei zu datieren. Die beiden Forscher entschlüsselten Konstellationen und Bedeutung des Steinreliefs und übersetzten erstmals die Inschriften. Ihre Arbeit korrigierte zahlreiche Ungenauigkeiten und Fehlinterpretationen von vielen Hieroglyphentexten. Sie beendete auch die Übersetzung einer äußerst detaillierten Beschreibung der Osiris-Mysterien an den Wänden des Tempels der Hathor in Dendera.
DER HATHOR-TEMPEL IN DENDERA
Der Ort ist günstig gelegen an einer Karawanenkreuzung am Nil. Erste Tempel wurden dort bereits 2500 v. Chr. gebaut. Die Mauern des heute noch sichtbaren Tempels legten die Ptolemäer kurz vor der Zeitenwende an.
Über Jahrhunderte war der Tempel unter Sand begraben. Erst während der Expedition Napoleons nach Ägypten wurde er 1799 wiederentdeckt. 1821 wurde das 2,55 × 2,55 m große Steinrelief des Tierkreises aus der Sandsteindecke einer der Kapellen ausgesägt und nach Marseille gebracht. Eine riesige Menschenmenge erwartete den Zodiak und befeuerte die Ägyptomanie Frankreichs Ende des 19. Jhd.s. Das Original des Tierkreises steht heute im Louvre in Paris. 1920 wurde ein Abdruck davon wieder am Fundort in Dendera angebracht.
DER TIERKREIS
Er stellt eine Karte des in Ägypten mit freiem Auge beobachtbaren Himmels dar. Sie zeigt die Sternbilder vom Himmelsnordpol bis zur Südhemisphäre in fast konzentrischen Kreisen. Einer dieser Kreise zeigt die Sternbilder des Tierkreises. Vier stehende Frauen stützen aus jeder Himmelsrichtung das Relief des Zodiak und acht kniende Götter symbolisieren die aufgehobene Zeit, die Ewigkeit. Er ist nicht der einzige Tierkreis in Ägypten, aber der am besten erhaltene und schönste.
Doch die eigentlich sehr einfache Gegenüberstellung des Tierkreises mit den Sternkarten der Hemisphäre wurde bisher noch nie gemacht. Der Astrophysiker Eric Aubourg überprüfte nun, ob die im Steinrelief dargestellte Konstellation der der Erbauung des neuen Tempels astronomisch möglich war.
Durch die unterschiedlichen Bahnparameter stehen die Planeten zu bestimmten Zeiten vor dem Fixsternhimmel still. Danach werden sie rückläufig, stehen noch einmal still und setzen ihre reguläre Bahn wieder fort. Fünf dieser Stillstände sind auf der Steinplatte von Dendera verzeichnet. So eine Anordnung kommt nur einmal im Jahrtausend vor.
Einige ägyptische Sternbilder stimmen nicht mit unseren heutigen Konstellationen überein. Auch die Namen sind zum Teil verschieden von den uns geläufigen Bezeichnungen. Jungfrau wurde »die Dame« genannt, Schütze war »der, der einen Pfeil abschießt« und Steinbock hieß »Gesicht eines Ziegenbocks«. Der Mond, Jupiter, der Stern Canopus im Kiel des Schiffes und das Sternbild des Orion standen in Verbindung mit Osiris.
DIE MYSTERIEN DES OSIRIS
Die von Plutarch überlieferte Legende erzählt von der Geburt des Osiris. Er war der älteste Sohn von Geb (Erde) und Nut (Himmel) und Nachkomme des Gottes Re (Sonne). Osiris saß auf dem Thron Ägyptens, lehrte die Menschen Ackerbau und Viehzucht und brachte ihnen die Gesetze. An seiner Seite stand der ibisköpfige Gott Thot, der den Menschen Wörter für die Dinge gab, die vorher noch keine Namen hatten. Er brachte ihnen auch die Hieroglyphen bei, lehrte sie rechnen, Baukunst und Astronomie.
Seth, der Gott des Chaos, ließ seinen Bruder Osiris ermorden und in einem Holzsarg ins Meer werfen. Dieser wurde in Phönizien angespült und von Isis, Osiris Schwester und Gemahlin, gefunden. In einer kurzen Zeit der Wiederbelebung des Osiris zeugte sie mit ihm ihren Sohn Horus.
Danach erlangte aber Seth den Holzsarg wieder und zerstückelte den Körper des Osiris in 14 Teile, die er im ganzen Land verteilte. Damit begann die große „Suche“ der Isis entlang des Nils nach den Gliedern des göttlichen Körpers.
Sie sammelte alle Körperteile ein und setzte sie zusammen. So war Osiris wieder vollständig, konnte einbalsamiert werden und in das Duat, das Totenreich, als ewiger Herrscher und Richter über die Toten einziehen.
Wir können diesen Mythos so deuten, dass der göttliche Geist, Osiris, als Mensch tief in die Materie eingetaucht ist. Mit Seth als seinem Gegenpol entwickelte sich in diesem Spannungsfeld sein menschlich gewordener Geist zurück zu seiner Bestimmung, seiner bewussten Einheit mit der Gottheit. In Dendera, Abydos und vielen anderen Hauptstädten Ägyptens wurde die Auferstehung des Gottes im vierten Monat des Jahres (genannt Khoiak) während der Überschwemmungssaison gefeiert. Ein Kalender beschreibt Tag für Tag die rituellen Handlungen.