Wieviel du ist gut für mich?

Wieviel du ist gut für mich?

Gemeinschaft

Integrität und Kooperation

Der Kindheitspsychologe Jesper Juul erklärt, dass diese beiden Aspekte schon von Geburt an prägend sind. Es geht um die Balance zwischen Integrität und Kooperation. Integrität bedeutet Übereinstimmung der persönlichen Werte, Ideale und Bedürfnisse mit den Handlungen eines Menschen.

Von Beginn des Lebens an sind wir im Spannungsfeld zwischen den persönlichen Bedürfnissen und denen des sozialen Umfelds – beim Säugling denen der Eltern. Das Trotzalter und die Pubertät sind Entwicklungsphasen, in denen diese Spannung oft deutlich ausgelebt wird. Im Erwachsenenalter erleben wir diese Spannung in (Paar)-Beziehungen, mit Kindern, jeglicher Art von Gemeinschaften, der Gesellschaft, … Die Beziehung zwischen dem Ich und Du kann man mit einer liegenden Acht symbolisieren.

Sowohl das Ich als auch das Du leben in der jeweils eigenen Welt mit persönlichen Bedürfnissen, Werten, Vorstellungen und Erfahrungen. Dort, wo sich beide Welten berühren, gibt es einen Kontaktpunkt. Hier entsteht Begegnung, Beziehung, Verbindung. Hier begegnen sich zwei oder mehr Menschen mit ihren vernunftbegabten Seelenteilen und im Idealfall tragen sie jeweils zur Erkenntnis bei. Das erklärte Sokrates mit dem Augengleichnis. Und jeder Mensch tut im Normalfall auch gerne etwas für andere, sodass Kooperation ganz natürlich ist.

Wir alle kennen Begegnungen, die uns inspirieren, wo wir uns gegenseitig befruchten und voneinander lernen. Auch gelungenes Teamwork erzeugt die Erfahrung, dass die Einheit mehr ist als die Summe ihrer Teile. Im Miteinander entstehen jedoch oft auch Konflikte und Spannungen. Diese Begegnungen helfen uns genauso oder noch mehr, uns selbst zu erkennen. Die buddhistische Philosophie und Psychologie lehren, dass schwierige zwischenmenschliche Begegnungen die besten Lehren für uns beinhalten, wenn wir uns den Themen stellen und Verantwortung für unser Denken und Handeln übernehmen. Sie sind sehr nützlich, um unsere Integrität zu erproben, unsere Fähigkeit, gemäß unseren persönlichen Werten und Idealen zu handeln.

Die liegende Acht symbolisiert also, dass es ein ständiges Fließen zwischen dem Ich und Du gibt, zwischen meiner Welt und der des Gegenübers. Im Idealfall geschieht dies in Form einer harmonischen Bewegung: Ein Mensch mit Körper, Seele und Geist tritt mit einer anderen integeren Person in Kontakt. Das Bild eines gemeinsamen Tanzes passt hier sehr gut: Beide geben wir uns dem Rhythmus des Lebens hin mit Einatmen, Ausatmen, Führen und Geführt werden – wir schwingen harmonisch miteinander. Und erleben ein starkes Glücksgefühl.

Und nun kommen wir auf die Eingangsfrage nach dem rechten Maß zurück. Da geht es um die rechte Balance zwischen Integrität und Kooperation, zwischen dem Ich und Du, Individualität und Gemeinschaft.
Wann und wie viel kann ich geben, wann brauche ich Selbstfürsorge? Wie sehr kann und will ich zurückstecken und meine persönlichen Bedürfnisse hintanstellen? Wie viel Hingabe und Engagement für andere möchte ich aufbringen? Wann ist es zu viel? Wann brenne ich aus?

Die Balance zwischen dem Ich und dem Du

Im Grunde geht es um die Balance zwischen dem Ich und dem Du. Dies kann man wunderbar mit einer Waage symbolisieren. Wir brauchen immer ein Gleichgewicht zwischen Hingabe und Selbstfürsorge. Sicher gibt es Phasen, in denen man zurückstecken kann und seine Bedürfnisse opfern kann für eine Lebensmission. Dann neigt sich die Waage stark in Richtung „Kooperation“ oder „Du“ und die „Integrität“ oder das „Ich“ hängen mehr in der Luft. Dann braucht man Zeiten für sich selbst zur Reflexion und Regeneration, um nicht auszubrennen.

Oft geht man ganz auf im ehrenamtlichen Engagement. Man erlebt Befriedigung, Dankbarkeit und Bestätigung. In der Glücksforschung wurde nachgewiesen, dass Menschen, die sich für andere oder ein öffentliches Projekt einsetzen, gesünder und zufriedener sind und länger leben. Unsere Gesellschaft wäre ohne Freiwilligenarbeit nicht überlebensfähig!

Jedoch vergisst man manchmal, sich um sich selbst zu kümmern, also Seelsorge zu betreiben. Das beständige Ausbalancieren ist notwendig und nicht einfach. Jeder Mensch ist da anders und jede Lebensphase braucht etwas anderes. Auch die Dinge, mit denen man sich regeneriert, verändern sich. Und dann gibt es da manchmal innere Stimmen (oder von anderen), die Selbstfürsorge egoistisch bewerten.

Wie kann ich erkennen, ob ich gut „ausbalanciert“ bin?

Praktische Tipps:

Freude und Enthusiasmus

Diese Seelenzustände sind ein Gradmesser für meinen inneren Zustand. Die Buddhisten lehren, dass Freude, Liebe und Vertrauen natürliche Seelenzustände sind. Wenn ich keine Freude mehr empfinde, sondern Gereiztheit, Niedergeschlagenheit und Schwere, ist es dringend notwendig, mir eine Auszeit zu nehmen.

Gelassenheit

… oder innere Ruhe lässt uns in schwierigen Situationen gemäß unseren Werten handeln und immer wieder aus dem allgemein vorherrschenden Stress aussteigen durch kurze Atemübungen der Selbstbesinnung, durch Innehalten und Loslassen. Gelingt mir das jedoch gar nicht, zeigt mir meine Seele, dass das Gleichgewicht gestört ist.

Courage

Bedeutet so viel wie Beherztheit oder mit dem Herzen handeln. Dabei empfinde ich Verbundenheit und Nähe mit der Mitwelt und den anderen Menschen. Ich traue mir Sachen zu und bin neugierig. Wenn mich jedoch vage Ängste plagen oder Sorgen und es mir schwerfällt, mich auf Neues einzulassen, brauche ich Regeneration.

Bleiben Sie im Gleichgewicht, wünscht Gudrun Gutdeutsch


Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 171 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.