Brainfood einmal anders

Brainfood einmal anders

Verschiedene Formen des Fastens erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Popularität: Dabei könnte man meinen, beim Fasten gehe es nur um die körperliche Nahrung. Ein Plädoyer für „Gedankenfasten“.

Menschen zum Essen einzuladen, ist in den letzten Jahren nicht gerade einfacher geworden: Bei so vielen individuellen Ernährungsformen weiß man als Gastgeber schon bald nicht mehr, was man noch auf den Teller zaubern darf. Lassen wir die ganzen Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten beiseite, spielen heute zahlreiche bewusst gewählte Ernährungsformen eine große Rolle: von vegetarischer, veganer oder Paleo-Diät, über Heilfasten nach der Klostermethode bis zu Intervallfasten à la 16:8 oder „warrior diet“ (wo man überhaupt nur einmal am Tag isst, dafür dann aber kräftig – zugegebenermaßen für eine Einladung zum Abendessen noch am besten geeignet). Wir haben uns hier schon lange von den teils „religiös“ anmutenden Fastenversprechen entfernt, belegen doch mittlerweile zahlreiche Studien die positiven Effekte auf den Körper.

Dabei gilt oft die alte KISS-Regel (keep it simple & stupid).

Bevor man sich in einer komplizierten Auswahl an erlaubten Nahrungsmitteln verliert, kann man einfach einmal gar nichts essen. Diese Form des Fastens findet heutzutage besonders im sogenannten Intervallfasten zahlreiche Anhänger: Versagt man dem Körper über einen Zeitraum von mindestens zwölf bis 14 Stunden die Nahrungsaufnahme, so hat das gleich mehrere positive Effekte auf den Stoffwechsel. Am bekanntesten ist hier der Prozess der „Autophagie“ oder „Autophagozytose“, für dessen wissenschaftliche Beschreibung der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi im Jahr 2018 den Nobelpreis für Medizin erhalten hat. Es handelt sich hierbei um einen Mechanismus, mit dem Zellen auf Nährstoffmangel reagieren: Sie beginnen gleichsam sich selbst zu verdauen, wobei sie dazu auf ihre zelleigenen „Mülldepots“ zurückgreifen und fehlgefaltete Proteine, verbrauchte Mitochondrien etc. in Energie umwandeln. Dies resultiert in einer Reinigung auf zellulärer Ebene, was positive Effekte auf den gesamten Zellstoffwechsel hat – bis hin zu möglicherweise krebsvorbeugender Wirkung.

Essen bedeutet Stress

Fasten - Essen

Ein weiterer positiver Effekt des Fastens im Sinne der reduzierten Nahrungsaufnahme liegt in der Reaktion des Körpers auf Nahrungszufuhr begründet: Jedes Mal, wenn wir etwas essen, versetzen wir unseren Körper in gewissem Sinne in eine Stressreaktion. Aus immunologischer Sicht handelt es sich schließlich bei der Nahrung um einen Fremdkörper, der in unseren Organismus eindringt. Weiters müssen zahlreiche mitunter komplexe Mechanismen auf zellulärer und hormoneller Ebene aktiviert werden, damit die Nahrung verdaut und die Nährstoffe aufgenommen und in die Zellen eingebaut werden können. Dies macht mehr als verständlich, warum wir uns oftmals nach dem Essen so müde fühlen – und das nicht bloß, wenn wir uns überessen haben oder uns mit besonders schwer verdaulicher oder gar für unsere Konstitution unverträglicher Speise belastet haben.
Wird der Körper ständig in diese Stresssituation gebracht, indem man ihm zusätzlich zu den drei Hauptmahlzeiten noch Zwischenmahlzeiten und Snacks zuführt, kommt er gar nicht mehr aus diesem Zustand heraus, was sich langfristig sogar in einer Anpassung der Stoffwechselvorgänge bemerkbar macht – eine der möglichen Ursachen des sogenannten „metabolischen Syndroms“, einer Kombination aus bauchbetontem Übergewicht, Insulinresistenz, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck.

Wie aus dem soeben Genannten ersichtlich, beschäftigen sich zahlreiche Zweige der Wissenschaft mit den Folgen unserer Ernährung – meist jedoch nur auf körperlicher Ebene.

Der Mensch ist mehr als nur sein Körper!

Gedanken - Brainfood

Auch auf den Ebenen der Gedanken und Gefühle nehmen wir täglich große Mengen „Nahrung“ zu uns und sind uns leider nur allzu oft nicht bewusst, woher diese kommt oder welche Wirkung sie auf uns hat. Parallel zum steigenden Nahrungsangebot und dem sinkenden Anteil an körperlicher Arbeit hat sich in unserer Gesellschaft auch das Angebot an Informationen – im Sinne gedanklicher Nahrung – in den letzten Jahrzehnten vervielfacht: Wir sprechen gar von einem Informationszeitalter, in dem unablässig Ideen und Gedanken über die unterschiedlichsten Kanäle wie Werbung, Internet, Fernsehen etc. auf uns einprasseln. Viele Menschen leiden unter dieser Informationsflut – so wie der Körper unter ständiger Nahrungszufuhr.

Was geschieht? Auch neue Ideen bzw. Gedanken müssen wir erst einmal verdauen, sie müssen durch Reflexion in ihre Bestandteile zerlegt und das Brauchbare in unser Weltbild integriert bzw. das Unbrauchbare ausgeschieden werden. Dies geschieht in Phasen, in denen wir keine neuen gedanklichen Eindrücke von außen aufnehmen: Sei es beim Sport, bei handwerklicher oder musischer Betätigung, in der Natur oder wenn wir uns langweilen – ein mittlerweile äußerst selten gewordenes Phänomen. Vor wenigen Jahrzehnten gehörte es zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen, aus dem Fenster zu schauen – eine ideale gedankliche Verdauungsmöglichkeit, völlig unvorstellbar jedoch in unserer Zeit, in der Stress sogar vor der Freizeit nicht haltmacht. Die Gefahr der Reizüberflutung auf mentaler Ebene liegt auf der Hand:

Überfordert mit den ständig wechselnden Eindrücken, können wir gar nicht mehr unterscheiden, welche Ideen wertvoll und welche bloß inhaltsleere Gedankenhüllen sind – Junkfood für den Kopf also.

Das führt zu allerlei mentalen „Verdauungsschwierigkeiten“, wobei hier der Fantasie in Bezug auf Analogien zum Körper keine Grenzen gesetzt sind: mentale Verstopfung, Gedankendurchfall, leaky brain syndrome („durchlässiges Gehirn“), Ideenintoleranz etc.

Was tun?

Neben der bewussten Auswahl an Ideen und Gedanken, mit denen wir unser Hirn füttern, sollten wir immer wieder Phasen des „Gedankenfastens“ einbauen, in denen wir uns selbst die Gelegenheit geben, bereits Aufgenommenes zu verdauen, zu reflektieren und zu überdenken. Ganz im Sinne Aschenputtels können wir es dann auch mit den Ideen machen: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Oder besser: die guten ins Köpfchen, die schlechten ins Töpfchen.

Guten Appetit!

Entspannung

Literaturhinweis

MICHALSEN, Andreas: Aufbruch in der Fastentherpie. (2018: Zeitschrift der Komplementärmedizin: 2: 10-15)

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 160 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.