Spiritualität – Die Suche nach dem geheimnisvollen Mittelpunkt
Eine wichtige Ursache für die Probleme der heutigen Zeit ist der Mangel an Spiritualität bzw. ihre Verleugnung. Wir geben der Spiritualität nur sehr geringen Platz in unserem Alltag und bei der Suche nach Lösungen. Gemäß unserem heutigen Welt- und Menschenbild reduzieren wir sowohl die Ursachen als auch die Lösungssuche auf die materielle (Geld, Wohlstand, Technologie etc.) oder psychologische Ebene (analysieren, intellektualisieren und psychologisieren), teilweise ohne sichtbare Ergebnisse.
Der Mensch ist ein spirituelles Wesen
Nach dem Modell der alten Griechen ist er eine Einheit von Körper, Seele und Geist.
Über unseren körperlichen Teil wissen wir aufgrund der wissenschaftlichen Forschung sehr viel. Die technologische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung hat uns ermöglicht, dass wir (scheinbar) die Natur beherrschen. Wir können jeden Ort der Welt innerhalb von Stunden erreichen, uns binnen Sekunden per Internet über alle Themen informieren. Wir wissen fast alles über die Beschaffenheit der Planeten und Sterne etc.
Auch über die Eigenschaften unserer Seele, die wir heute als Psyche bezeichnen, haben wir dank der Psychologie eine tiefere Einsicht über unsere Emotionen, unsere Gedanken und unsere psychologische Fähigkeiten.
Nur – was ist mit dem Geist? Und wie steht es mit dem geistigen, spirituellen Leben aus? Welche Fortschritte hat der Mensch hier erreicht? Helfen uns die technologischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu einem besseren Verständnis des Geistes? Wir sprechen von Geist, aber eigentlich wissen wir heute nicht mehr, was Geist ist. Heute werden die Begriffe Geist und Spiritualität inflationär verwendet wie z. B. der Spirit einer Firma, der Teamgeist, Geistheilung, der Geist der Sprache, spiritueller Wert vom Geld etc. Aber das hat mit Geist und Spiritualität nichts zu tun.
„Die Menschen wissen, dass sie einen Baum angemessen pflegen müssen, damit er lebt und wächst. Aber was die eigene Seele betrifft, wissen sie nicht, wie sie sie angemessen behandeln müssen. Lieben sie ihre Seele vielleicht weniger als einen Baum?“
Konfuzius
Was ist Geist und Spiritualität?
Was verstehen wir unter Geist?
Spirituelles Leben lässt sich am besten bezeichnen als ein Leben in völliger Übereinstimmung mit dem Geist. Aber was verstehen wir unter Geist? Der Geist oder die spirituellen Dinge befinden sich in der ontologischen Welt (Welt des Seins). Diese Dimension liegt jenseits dessen, was wir erfassen können. Platon nennt diese Welt die Welt der Ideen – es sind die Urbilder und Ursachen alles Seienden. Und die konkreten Dinge, die wir wahrnehmen, sind die Abbilder der Ideen. Was wir wahrnehmen können, hängt von der Größe unseres Erfassungsvermögens ab. So können wir z. B. die Idee der Schönheit in den einzelnen Dingen unserer Welt wahrnehmen. Und wir können lernen, diese Wahrnehmung stetig zu verbessern und damit unsere Welt verschönern.
„Spiritualität ist weder langweilige Anständigkeit noch fromme Fügsamkeit, sondern ein Leben von erlesener Feinheit, intensiv, voll Romantik, verlockend und geheimnisvoll.“
N. Sri Ram
Der Geist ist immer unsichtbar, jenseitig und doch innewohnend in allen Dingen, mit denen wir in Berührung kommen. Man könnte ihn mit einem Mittelpunkt eines Kreises in der Mathematik vergleichen, der notwendig ist, aber nicht gesehen werden kann. Obwohl der Punkt ohne jede Dimension ist, ist er dennoch mit allen Punkten der Peripherie verbunden. Genau so verhält es sich mit dem Geist: Er ist eins und doch mit allen lebenden Dingen verbunden.
Obwohl wir den Geist nicht sehen oder kennen, können wir ihn in seinen Auswirkungen wahrnehmen. Dazu müssen wir keiner Religion dieser Welt angehören. Wir brauchen niemals das Wort „Religion” gehört haben und sind dennoch spirituell, wenn sich diese Eigenschaft in unserer inneren Haltung ausdrückt.
Welche Bedeutung hat die Spiritualität?
Spiritualität bedeutet, die Wahrheit direkt wahrnehmen zu können. Dem Biophysiker Markolf H. Niemz zufolge leben sowohl Wissenschaft als auch Religion von spirituellen Impulsen:
„Spiritualität ist Wahrheit, die von innen kommt.“
Und doch ist Spiritualität nicht mit Religiosität zu verwechseln.
- Religiosität wurzelt in allen Religionen auf Glauben und Vertrauen an Gott und folgt Regeln und Ritualen, um sich mit Gott zu verbinden.
- Unser religiöses Erbe besitzt kein Alter.
- Es gibt weder ein einziges heiliges Buch noch ein einziges auserwähltes Volk. Die Religion hat blaue, grüne, braune und schwarze Augen erleuchtet.
- Der Glaube ist kein Gegensatz zum Verstand, sondern Ergänzung.
- Religion kommt vom lateinischen Wort „religare“, das „rückverbinden“ bedeutet. Die Rückverbindung des Menschen mit der gesamten Menschheit und mit Gott.
Obwohl es nur ein religiöses Erbe gibt, sind die historischen Ausdrucksformen vielfältig. Ihre geopolitischen und zeitlichen Anpassungen unterliegen dem Zeitgeist. Eines Tages wird man die Jungfrau Maria genauso wenig kennen, wie es uns heute mit früheren weiblichen Gottheiten geht, angefangen von der Venus von Milet bis zur ägyptischen Isis. Und wir werden wahrscheinlich auch zukünftig die Thora oder Bibel mit dem gleichen Unverständnis betrachten, mit dem wir uns heute etruskischen Schriften nähern.
Der Psychologe Rudolf Sponsel definiert Spiritualität als „Beschäftigung mit Sinn- und Wertfragen des Daseins, der Welt und der Menschen und besonders der eigenen Existenz und seiner Selbstverwirklichung im Leben“. So beinhaltet Spiritualität eine besondere, nicht im konfessionellen Sinne verstandene religiöse Lebenseinstellung eines Menschen, die sich auf das transzendente oder immanente göttliche Sein konzentriert.
Schon immer suchte der Mensch die Antwort auf die großen philosophischen oder geistigen Fragen des Lebens: über sich selbst, die Natur, Gott, den Sinn des Lebens, die Wahrheit und Weisheit.
- Spiritualität bedeutet, die Dinge zu sehen wie sie sind, und nicht so, wie wir sie gerne hätten.
- Sie bedeutet, zu erkennen, wer wir sind, die egozentrische Sichtweise zu überwinden und uns als Teil der Natur, Kosmos und des Göttlichen wahrzunehmen.
- Sie bedeutet, offen zu sein für transzendente Ideen wie die unsterbliche Seele oder das Leben nach dem Tod. Durch diese Offenheit können wir lernen, die Angst vor dem Tod und vor dem Ungewissen zu besiegen.
Der spirituelle Mensch
Der spirituelle Mensch ist im wahrsten Sinne des Wortes dynamisch. Jeder spirituelle Mensch kann aus sich heraus Werte und Werke erschaffen, weil er mit der geistigen Dimension verbunden ist. Spirituell zu sein bedeutet, schöpferisch zu sein.
Der Geist erschafft andauernd. So entstanden sakrale Objekte wie Tempel, die das Göttliche zum Ausdruck bringen, wissenschaftliche Entdeckungen im Bereiche der Physik, Chemie, die uns das bessere Verständnis der Naturgesetze ermöglichen oder moralische und ethische Werte wie Liebe, Gerechtigkeit, Großzügigkeit, Toleranz etc., die uns zu einem besseren Menschen machen.