Eine Philosophie, die Brücken baut – Plotin und seine neuplatonische Schule
„Anerkennen, dass die Götter existieren!“, antwortete Tim Addey auf die Frage eines Zuhörers bei einem Platon-Kongress in Marseille, was es heute am meisten brauchen würde, um Platon und die Platonische Philosophie zu verstehen.
In meiner Studienzeit las ich einige Dialoge von Platon und diskutierte sie mit ein paar Kollegen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Behauptung eines Freundes. Er meinte, dass Platon nicht an die Götter glaubte, sondern dass er die Aussagen zu den Göttern in seinen Dialogen eher als ein Zugeständnis an seine Zeit betrachtete. Heute meine ich es besser zu wissen, vor allem durch das Studium der Neuplatoniker wie Plotin und Proklos.
Ammonius Saccas, ein geheimnisvoller Lastenträger im Hafen von Alexandria, gilt heute als Ahnherr der Neuplatoniker. Plotin, am Beginn des dritten Jahrhunderts ein junger Mann, streifte damals durch die Straßen auf der Suche nach einem weisen Mann. Als er nach all den schlechten Erfahrungen mit Halbwissenden und Sophisten gerade alle Hoffnung begraben wollte, begegnete er diesem Hafenarbeiter, der ihn zutiefst beeindruckte. Vielleicht war Ammonius Saccas eine ähnliche faszinierende Gestalt wie der Steinmetz Sokrates. Plotin seinerseits wurde jedenfalls oft als wiedererstandener Platon bezeichnet und gilt heute als der bedeutendste Neuplatoniker.
Prüfe alle Dinge und halte fest was gut ist
Dies war Motto und Methode der Neuplatoniker. Eine ausgesprochen fruchtbare Sicht innerhalb eines Römischen Imperiums. Dies erstreckte sich zu dieser Zeit rund um das „mare nostrum“, das Mittelmeer, und beherbergte viele Völker und Weltanschauungen. Mit ihrem sich der vielfältigen Weisheit öffnenden Ansatz leisteten die Neuplatoniker einen wesentlichen Beitrag zu Zusammenhalt und Brüderlichkeit unter den verschiedenen Gruppen und Strömungen. Dadurch wurden sie auch ungeliebter Gegenspieler vieler Christen, die bereits zu dieser Zeit begannen, ihren exklusiven Anspruch auf Gott zu verkünden.
Die römische Kultur war vor den sogenannten „Christenverfolgungen“ ganz entschieden von religiöser Toleranz geprägt. Im alten Rom koexistierten Tempel der traditionellen Religion Seite an Seite mit ägyptischen Tempeln oder persischen Miträen (Tempel des Mithras-Kultes). Erst durch den Fanatismus einzelner christlicher Sekten und durch einen von Christen versuchten Anschlag auf Kaiser Diokletian sah man sich gezwungen, hart gegen diese vorzugehen. Nicht wegen ihrer Religion, sondern weil ihre Intoleranz den Reichsfrieden zunehmend gefährdete.
Gott ist das Eine
Die Neuplatoniker hingegen bemühten sich, die grundlegende Verbindung und Übereinstimmung aller Philosophien und Religionen zu zeigen. Für sie war die Verehrung der Götter und Gottes kein Widerspruch. In seinem Buch über die „Platonische Theologie“ zeigt Proklos die Übereinstimmung philosophischer und theologischer Ideen. Das Eine entspricht Gott bzw. dem Göttlichen. Eine Wirklichkeit, die so hoch ist, dass es unmöglich ist, sie zu beschreiben. Denn jede Eigenschaft, die man ihr zuschreibt, würde das Gegenteil dieser Eigenschaft von ihr ausschließen und sie dadurch begrenzen. Da das Göttliche das Eine, also Einheit ist, umfasst es auch alles und schließt nichts aus.
Die Götter oder philosophisch ausgedrückt „Henaden“ hingegen bezeichnet er als erste Realitäten. Sie bilden sich, wenn das Eine beginnt, einen Kosmos hervorzubringen. Wo liegt der Unterschied zwischen dem römischen Mars und dem Erzengel Michael? Auch wenn die katholische Kirche sich als monotheistisch betrachtet, kann ich wenig Unterschied zu den religiösen Vorstellungen vieler polytheistischen Religionen erkennen. Wo ist der Unterschied zwischen Maria, die um den gekreuzigten Jesus weint? Und wo ist der Unterschied zwischen der griechischen Muttergottheit Demeter, die um die in der Unterwelt gefangene Persephone weint? Eusebius von Caesarea, ein spätantiker christlicher Theologe, setzte die drei neuplatonischen Prinzipien (Eines, Nous, Weltseele) mit den drei Personen der christlichen Trinität gleich.
Der Bruch zwischen Philosophie und Religion
Wenn Philosophie und Religion in der Antike und auch im Mittelalter als zwei parallele Wege betrachtet wurden, sich Gott oder dem Einen zu nähern und sich mit ihm zu vereinigen, stellt sich wiederum die Frage, wann diese Verbindung verloren ging? Die meisten Philosophen sind heute darauf bedacht, sich strikt von der Religion abzugrenzen. Der Grund ist natürlich in der in den vorangegangen Jahrhunderten erfolgten Zensur oder gar Verfolgung von Philosophen als sogenannte Ketzer oder Hexen durch die Kirchen zu finden.