Groß und mächtig – Schicksalsträchtig. Wie Mythen unsere Welt gestalten

Groß und mächtig – Schicksalsträchtig. Wie Mythen unsere Welt gestalten

Mythen

Welche Kraft, aber auch welche Ambivalenz dem Mythos zu eigen ist, lässt sich an der Blut-und-Boden-Mythologie des Nationalsozialismus zeigen.

Hier sorgte der Mythos für eine neue emotionale Einbindung der Menschen und gab ihnen damit genau das, was sie in der Zeit der sozialen Entwurzelung weitgehend verloren hatten. Aber auch die mythenkritische, scheinbar so vernünftige Aufklärung selbst lässt sich in der Sicht Theodor W. Adornos als Mythos verstehen. Nicht nur „schlägt Aufklärung in Mythologie zurück“, sondern sie ist selbst Mythos: der der Aufklärbarkeit und rationalen Durchdringungsmöglichkeit der Wirklichkeit.

So ist der Mythos beides zugleich: Erklärungskraft und Verführung. Nicht die rationale Ersetzung des Mythos ist jedoch philosophisch sinnvoll, ebenso wenig wie es die Ersetzung der Religion durch Naturwissenschaft wäre, sondern nur eine heute angemessene erzählende Symbolik. Auch die Naturwissenschaft muss im Bereich der Quantentheorie in mythisch anmutende Bilder übergehen, wenn sie nicht stumm bleiben will.

Eine besondere Note hatte in den 40er-Jahren die Debatte um die sogenannte „Entmythologisierung biblischer Texte. Rudolf Bultmann, Neutestamentler aus Marburg, hatte eine kritische Auseinandersetzung mit mythischen Elementen gefordert, die den Gemeinden nach wie vor als nicht hinterfragte Realitäten präsentiert wurden.

In einer Zeit, in der man ganz selbstverständlich Radios benutze und moderne Medizin praktiziere, könne man nicht mehr an die Dämonen und Wunder biblischer Texte glauben.

Der Begriff Entmythologisierung ist allerdings missverständlich, denn Bultmann wollte keine Streichung des Mythos, sondern seine existenzielle Erklärung: eine Forderung, die der Leistungsfähigkeit des Mythos durchaus angemessen ist.

Dass es bis heute nicht zur Einlösung dieser Forderung gekommen ist, dass biblische Mythen zwar in aller Regel lebensweltlich übersetzt, aber eben nicht explizit als Mythen benannt werden, macht einen der tieferen Gründe für den Bedeutungsverlust der christlichen Kultur aus. Sie wirkt zunehmend traditionalistisch verschlossen.

Welche Wirkungskraft Mythen haben können

zeigt auch der Theologe Samuel Laeuchli. Im „mythischen Spiel“ lässt er Menschen die Rolle mythischer Figuren übernehmen. Dabei kommt es immer wieder zu erstaunlichen Selbstklärungen und interessanterweise auch dazu, dass die Struktur des Mythos sich wieder neu bildet – selbst dann, wenn sie den Protagonisten des Spiels kaum bekannt ist.

Der Mensch ist bei allem, was man sonst noch über ihn sagen kann, offenbar ein mythenaffines Wesen.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 156 (2/2019) des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.

 

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