In den Fehlern liegt die Kraft
In der Businesswelt wird folgende Anekdote erzählt: Ein Mitarbeiter eines weltweiten Konzerns bemerkt schon seit Längerem, dass sein Projekt schlecht läuft. Das Ergebnis trifft ihn dennoch hart: Er hat 600.000 Dollar Verlust gemacht. Darüber ist er so unglücklich, dass er kündigen will. Sein Chef kommt ihm zuvor und bittet ihn in sein Büro.
Der Mitarbeiter betritt den Raum mit klopfendem Herzen und meint mit zitternder Stimme: „Ich bitte um meine Entlassung – ich habe der Firma einen ungeheuren Verlust beschert.“ Sein Vorgesetzter blickt ihm lange in die Augen und sagt sodann: „Ich soll Sie entlassen? Nein! Gerade habe ich 600.000 Dollar in Ihre Weiterbildung investiert.“
Diese Anekdote zeigt, dass Fehler die beste Gelegenheit sind, sich weiterzuentwickeln. Dies ist heute jedoch eine Ausnahme. Wenn ein Politiker einen Fehler macht, übernimmt er die Verantwortung, indem er zurücktritt. Das ist nicht philosophisch. Besser wäre es, er würde zu seinem Fehler stehen, sich erklären und ihn wiedergutmachen.
Lassen Sie uns über die Kunst, richtig Fehler zu machen, ein wenig philosophieren …
Angst vor Fehlern
Heutzutage sind Fehler unpopulär. Von Kind an werden wir für sie bestraft. In der Schule werden Fehler rot angestrichen und je mehr es sind, desto schlechter fällt die Note aus. Das führt dazu, dass man Fehler vertuscht, sie womöglich anderen in die Schuhe schiebt, anstatt dazu zu stehen.
Aus dieser Angst heraus entstehen Passivität und Feigheit, nach dem Motto: Je weniger ich tue, desto weniger kann ich falsch machen.
Wer jedoch Dinge im Leben wagt und sich auf neues Terrain begibt, wird unweigerlich Fehler begehen. Gerade aus diesen Fehlern lernen wir. Marie von Ebner-Eschenbach meinte:
„So manche Wahrheit ging von einem Irrtum aus.“
Die buddhistische Philosophie lehrt, dass das Leid zu Bewusstsein führt. Ohne Fehler – die uns ja oft schmerzlich bewusst werden – lernen wir nicht.
Die japanische Kultur hat dies in der Kunst des Goldflickens – Kintsugi – ästhetisch überhöht: Hierbei werden die Bruchstellen einer beschädigten Keramik hervorgehoben, indem man in den Kleber Gold mischt, wodurch die vermeintlichen Makel besonders sichtbar werden und glänzen. Dieses Prinzip des „Wabi-Sabi“ ist vom Zen beeinflusst und wird als die Weisheit und Schönheit des Unvollkommenen beschrieben. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass in der manifestierten Welt keine Perfektion herrscht. Der Weg durch das Leben ist die Suche nach Vollkommenheit, die nur im Geistigen zu finden ist. Und um diese zu erreichen, lernen wir – durch unsere Fehltritte.
Mut zu Fehlern
Treu nach dem Grundsatz „Menschen machen Fehler. Fehler machen Menschen“ von Erhard Horst Bellermann sollten wir zu unseren Fehlern stehen. Und sie uns verzeihen. Alle erfolgreichen Menschen haben Fehler gemacht und machen Fehler. Man kann sich fragen: Warum soll ausgerechnet ich vollkommen sein? Ich denke, dass wir durch unsere Erziehung, bei der wir für Fehler bestraft wurden, verunsichert sind. Daraus entsteht eine Maske des Stolzes und der falschen Sicherheit, durch die wir vorgeben, besser zu sein, als wir sind.
Auch hier findet sich Inspiration in der östlichen Philosophie. Sie betrachtet die sichtbare Welt, in der wir handeln, als „Maya“, als Täuschung. Und das Leben als Spiel und Übungsfeld. Wir sind hier, um zu lernen. Und das gelingt nun einmal am besten durch Fehler. So entsteht eine entspannte Haltung. Sie ist konstruktiver als Vorwürfe und Ärger, die uns innerlich vergiften.
„Irrwege müssen begangen werden, um sich als Irrwege zu erweisen.“
Paul Watzlawick
Aus Fehlern lernen
Wenn wir akzeptieren, dass Fehler zum Leben gehören und uns weiterbringen, können wir aus ihnen lernen. Dazu braucht man zunächst eine fehlerfreundliche Haltung. Sie äußert sich in Verständnis und in der Kunst des Verzeihens. Uns selbst und anderen gegenüber. Dabei helfen der Humor und das Amüsement. Mich beeindruckt in dem Zusammenhang immer wieder der Dalai-Lama. Im Hörbuch „Die Weisheit des Verzeihens“ wird erzählt, wie er sich selbst beim Prahlen ertappt. Er hält inne, lacht laut auf und sagt: „Oh, ich prahle ja!“
Der Humor bringt Leichtigkeit in die Spannung, die durch einen Fehler entsteht, der ja das „Dharma“ – das Lebensgesetz – verletzt. Ein Philosoph wird seinen Fehler leicht und gleichzeitig auch ernst nehmen.
Er wird die Situation reflektieren und sich fragen, welche innere Haltung den Fehler verursacht hat. Bei dieser Selbstprüfung empfinden wir oft Reue und Scham. Dies sind zwar unangenehme, aber konstruktive Gefühle (im Gegensatz zu zerstörerischen Selbstzweifeln). Sie zeigen uns, wo wir nicht unseren Werten und Prinzipien gemäß gehandelt haben. Wenn wir im Zorn jemanden verletzt haben, bewirkt Reue, dass wir um Verzeihung bitten. Und dann können wir tiefer forschen: Was war die Ursache des Zorns in mir?
Fehler erlösen
Ein Philosoph wird nicht erwarten, dass jemand anderer ihn erlöst. Er will es selbst tun. Einen Fehler erlöst man, indem man ihn erstens erkennt, zweitens akzeptiert und drittens zugibt. Um beim oben angeführten Beispiel zu bleiben:
Nachdem man die innere Ursache für den Zorn erkannt hat (z. B. Egozentrismus oder Ungeduld), kann man sich überlegen, wie man die fehlende Tugend (Mitgefühl, Geduld) erwerben kann. Und sich eine Übung auferlegen wie z. B. in spannungsgeladenen Dialogen die Perspektive des anderen einnehmen der tief und bewusst atmen, um innerlich ruhig zu sein. Oder man tut dem anderen etwas Gutes, um die Verletzung zu heilen.
Zurück zu unserem Manager am Anfang des Artikels: Sicher wird er – um sich der Loyalität seines Chefs würdig zu erweisen – große Anstrengungen unternehmen, um den Verlust wieder auszugleichen.
Zum Abschluss drei Tipps
- Akzeptieren Sie, Fehler zu machen!
- Verzeihen Sie Ihren Mitmenschen deren Fehler!
- Erlösen Sie Ihre eigenen Fehler!
Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 154 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.