Vom Glück der Freundschaft
Nichts jedoch erquickt den Geist so sehr wie treue innige Freundschaft. Welch ein Schatz ist ein Herz, dem man sicher jedes Geheimnis anvertrauen kann, dessen Mitwissen du weniger fürchten musst als dein eigenes, dessen Wort deinen Kummer lindert, dessen Rat deine Pläne fördert, dessen Heiterkeit deine Traurigkeit verscheucht, dessen Anblick schon dich aufheitert.
Seneca
Freundschaft bereichert unser Leben und macht uns glücklicher und gesünder. Gerade in dieser Corona-Krisenzeit spüre ich, wie sehr ich gute Freunde brauche, auf die ich mich wirklich verlassen kann.
Es erfüllt mich sehr, für andere da zu sein, zum Beispiel wenn ich meiner Freundin beim Spaziergang zuhöre, wie es ihr gerade geht, und wenn wir uns gegenseitig ermutigen, gelassen zu bleiben und Flexibilität zu üben.
Als Philosophin habe ich tiefe Gedanken über die Freundschaft bei Aristoteles gefunden. Aristoteles sieht in der Freundschaft einen Weg zur Glückseligkeit. Er erklärt die Freundschaft als Tugend, die notwendig ist für ein glückliches und moralisches Leben in einer Gemeinschaft. Ein reicher Mensch ist glücklicher, wenn er seinen Wohlstand mit anderen teilt.
In Armut oder anderen unglücklichen Lebenslagen sind es die Freunde, die Zuflucht bieten, somit ist Freundschaft auch Hilfe oder Hilfsbereitschaft. Junge Menschen erfahren Unterstützung bei Entscheidungen und alten Menschen bietet die Freundschaft Halt und Stütze bei Tätigkeiten, die sie nicht mehr verrichten können.
Freundschaft ist Hilfe und spornt zu edlen Taten an.
Weil Freundschaft eine wichtige Bedingung für ein glückliches Leben ist, sollte sie für jeden Menschen Antrieb sein, hilfsbereit, großzügig, ehrlich, also tugendhaft zu sein.
Aristoteles schreibt, dass niemand ohne Freunde leben möchte. Der wichtigste Grund, warum Menschen sich befreunden, ist für Aristoteles die Liebe. Echte Freunde wünschen einander nur Gutes und empfinden Wohlwollen füreinander.
Nun sind aber Menschen, die dem Freunde um des Freundes Willen das Gute wünschen, die echtesten Freunde, jeder liebt des anderen Wesensart. Solche Freundschaft ist natürlich selten, ferner braucht sie auch Zeit und gegenseitiges Vertraut-werden.
Aristoteles erklärt, dass sich Menschen nur dann wertschätzen und als Freund anerkennen können, wenn sich die andere Person als liebenswert erwiesen oder sich Vertrauen aufgebaut hat. Auch wenn der Wunsch nach Freundschaft schnell entsteht, braucht Freundschaft seine Zeit.
Das beschreibt auch Antoine Saint-Exupery wunderbar in seinem Buch „Der kleine Prinz“:
Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange an:
„Bitte, zähme mich!“ sagte er.
„Ich möchte wohl“ antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge lernen.“
„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt“, sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennen zu lernen. Sie kaufen sich alles fertig in Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich.„
„Was muss ich da tun?“ sagte der kleine Prinz.
„Du musst sehr geduldig sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können…„
„Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen“, sagte der Fuchs, „aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“
Wunderbar finde ich, dass der Soziologe Siegfried Kracauer Freundschaft als das engste geistige Verhältnis beschreibt. Wahrhafte Freundschaft besteht in der Pflege ähnlicher Gesinnungen und setzt gemeinsame Entwicklung voraus. Es müsse eine Übereinstimmung in den Idealen und im Welt- und Menschenbegreifen vorhanden sein. Freundschaft ist durch das Wachstum mit- und voneinander geprägt.
Von dieser Qualität ist die Freundschaft von Goethe und Schiller gewesen. Zwei schöpferische, berühmte Menschen höchsten Ranges haben sich trotz ihrer Gegensätze miteinander verbunden, sich wechselseitig inspiriert und gemeinsame Werke geschaffen. Goethe und Schiller waren Konkurrenten, ehe sie zu Freunden wurden. Goethe fühlte sich vom Ruhm des jüngeren Schiller bedrängt. Und für Schiller war Goethe unnahbar, förmlich und ein wenig steif.
Als sie sich einander angenähert hatten, schrieb Goethe:
Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört hatte.
Für Schiller bot sich mit Goethe ein ganzer Kontinent an Welterfahrung:
Ich kann nie von Ihnen gehen, ohne dass etwas in mir gepflanzt worden wäre, und es freut mich, wenn ich für das Viele was Sie mir geben, Sie und Ihren innern Reichtum in Bewegung setzen kann.
Beide verband also die Arbeit am eigenen Werk und an sich selbst: sich wechselseitig zu helfen, zu fördern und voneinander zu lernen. So dienten sie sich gegenseitig als Spiegel. Ein jeder konnte dem anderen etwas geben, was ihm fehlte und etwas dafür empfangen. So entstand eine größerer Einheit, ganz im Sinne des Gedankens von Aristoteles:
Freundschaft, das ist eine Seele in zwei Körpern.
Als Schiller starb, schrieb Goethe:
Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins.
Mich begeistert hier die Hingabe und Liebe zueinander, die unbedingte Haltung, sich gegenseitig in der Entwicklung zu unterstützen und füreinander da zu sein. Ganz praktisch im Sinne der Philosophin Simone Weil:
Die Freundschaft kann nicht gesucht, nicht erträumt, nicht begehrt werden; sie wird ausgeübt.
Echte Freundschaft ist ein Schatz und braucht Zeit und Übung. Ebenso Vertrauen, ein Lächeln, eine immer offene Hand und die Überwindung seiner selbst, um besser zu werden.
Und hier noch ein paar praktische Ideen zur praktischen Pflege Ihrer Freundschaften:
- Seien Sie füreinander da und inspirieren Sie sich gegenseitig, z.B. mit schönen Zitaten und erhebenden Gedanken aus Büchern die Sie gerade lesen
- Halten Sie Kontakt über Telefonate, liebevolle Nachrichten, Briefe die sie schreiben
- Verbringen Sie Zeit miteinander: beim gemeinsamen Kochen, spazieren gehen, Konzertbesuche usw.
- Üben Sie sich in Tugenden wie verzeihen können, Großzügigkeit und Authentizität. Öffnen Sie Ihr Herz und verschenken Sie sich.