Werner Heisenberg – Die Melodie der Atome

Werner Heisenberg – Die Melodie der Atome

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Ein Grund von merkwürdiger innerer Schönheit

Ein entscheidender Durchbruch für das Verständnis der Quantenphysik gelingt dem 23-jährigen Heisenberg während eines Aufenthalts auf Helgoland. Er ist dort auf Anordnung seines Arztes, um einen schlimmen Heuschnupfen auszukurieren, und beschreibt diese Zeit rückblickend so:

Geschlafen habe ich eigentlich gar nicht. Ein Drittel des Tages habe ich die Quantenmechanik ausgerechnet. Ein Drittel bin ich in den Felsen herumgeklettert und ein Drittel habe ich Gedichte aus Goethes west-östlichen Diwan auswendig gelernt.

Heisenberg inspiriert sich an der kraftvollen Natur der Nordseeinsel und glaubt, beim Blick über das Meer einen Teil der Unendlichkeit zu ergreifen.

Als er die Formeln der Quantenmechanik entdeckt, für die er einen eigenen mathematischen Formalismus entwickelt, gleicht dies für Heisenberg seinen mystischen Naturerlebnissen: „Im ersten Augenblick war ich zutiefst erschrocken. Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf einen tief darunter liegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen und es wurde mir fast schwindlig bei dem Gedanken, dass ich nun dieser Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen sollte, die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte.“

In Heisenberg vereint sich der geniale Physiker mit dem genialen Künstler. Der Natur und der Musik entnimmt er die Bilder für seine Deutung der Wirklichkeit.
Auf der Nordseeinsel entschleiert sich ihm in einem gewissen Sinn die Melodie der Atome.

Der Beobachter ist Teil der Wirklichkeit

Werner Heisenberg
Friedrich Hund, Werner Heisenberg und Max Born anlässlich Hunds 70. Geburtstags 1966 in Göttingen
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Gemeinsam mit Niels Bohr, Max Born und anderen Physikern entwickelt Heisenberg die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik, die zur Standardinterpretation wird. Die Wirklichkeit ist keine objektiv beobachtbare Wirklichkeit, sondern wir sind als Beobachter immer Teil der beobachteten Wirklichkeit. Die Bahnen der Elektronen entstehen also erst dadurch, dass wir sie beobachten.

Atome sind keine Einzeldinge. Bedeutung gewinnt ein einzelnes Teilchen immer nur in Verbindung mit dem Ganzen. Wenn man beschreiben will, was ein Elementarteilchen ist, versagt daher auch unsere Sprache. Unsere Sprache fragt immer nach dem: „Was ist?“ und dann „Wie bewegt es sich?“ Auf der Ebene der Elementarteilchen sind die Prozesse jedoch relevanter als die Dinge. Für die neue Sprache ist daher die Beziehung oder Art der Verbindung wesentlicher als Dinge.

Verbundenheit statt Einzelkämpfertum

Normalerweise widerspricht dieses Gedankenmodell der Art, wie wir im Alltag die Realität erleben: Ein Stein ist ein Stein – unabhängig von uns. In der modernen westlichen Welt betrachten sich viele Menschen als Einzelwesen mit dem Ziel, unabhängig von anderen zu sein. Die Philosophie des Buddhismus betrachtet diese Einstellung als Illusion und spricht von der „Leerheit“ der Einzeldinge. Diese haben kein Sein oder keine Substanz in der Form, wie sie sich unseren Sinnen präsentieren. Es geht darum, die Bedingtheit der Dinge zu erkennen, wie alles von allem abhängt, wie alles mit allem verbunden ist. Heisenberg beschreibt dieses Verständnis in seinem Buch „Der Teil und das Ganze“.

Die „Stimme der Stille“, eine von H. P. Blavatsky in den Westen gebrachte tibetische Schrift rät daher, den Irrwahn des Getrenntseins zu überwinden. Wir Menschen sind wie die Blätter eines Baumes: Wenn wir das verstehen, hören wir auf, andere zu schädigen, zu bekämpfen oder auszubeuten.

Hier gleichen einander die Botschaft Werner Heisenbergs, des Dalai Lama sowie vieler anderer Querdenker aus dem Bereich der neuen Wissenschaft und der neuen Spiritualität. Die Krise unserer Welt ist eine Krise des westlichen Materialismus und des Individualismus.

Seit Descartes fühlen wir uns separiert von der Natur und von den anderen Menschen. Descartes hat allen Lebewesen außer dem Menschen die Seele abgesprochen – und ebenso der Natur, die zur toten Materie degradiert wurde.

Seit der Quantenphysik haben wir auch eine naturwissenschaftliche Bestätigung, dass Descartes falsch lag. Die Lösung unserer ökologischen und menschlichen Probleme beginnt damit, die Tugend der Verbundenheit, das Mitgefühl, wieder zu aktivieren und die Seele aller Wesen und Dinge wieder zu erleben.

Vernimm den Klang der Silbersaite!

Geige

Heisenberg ist ein spiritueller Mensch, nicht im Sinne einer Konfession. Er ist davon überzeugt, dass jeder Mensch mit dem Einen, dem Göttlichen oder der zentralen Ordnung in Kontakt treten kann so wie mit der Seele eines anderen Menschen. Unter Seele versteht er dabei die zentrale Ordnung, die Mitte jedes Menschen, auch wenn dieser nach außen vielfältig oder widersprüchlich sein mag.

Seine glücklichsten Momente sind jene, in denen er sich dieser zentralen Ordnung eingefügt und nahe fühlt. Der Kompass bzw. unsere Werte sollten sich danach richten, im Sinne des Göttlichen zu handeln. Eine Teilordnung, die sich nicht in Harmonie mit dieser zentralen Ordnung befindet, schafft Chaos, Verwirrung und Leid.
Angesichts der globalen ökologischen und politischen Krise, die eine Folge des mechanistischen Weltbildes ist, klingt ein philosophischer Text Heisenbergs aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges wie für heute geschrieben:

Die Zeit, in der wir leben, bedroht mit ihrer Unruhe und ihrem Unglück die Werte, die uns bisher gesichert schienen. Es kommt jetzt darauf an, dass die wenigen, für die die Welt noch leuchtet, zusammenhalten und sich über die anderen hinweg erkennen.

Auch das lauteste Getöse großer Ideale darf uns nicht verwirren und nicht hindern, den einen leisen Ton zu hören, auf den alles ankommt. In der Musik sind oft nicht die Stellen am lautesten, an denen das volle Orchester den ganzen Raum mit Tönen füllt, sondern die Takte, in denen eine einzelne Geige ganz leise eine Melodie singt. Deshalb müssen sich jetzt die verbünden, die noch die Weiße Rose kennen oder die den Klang der Silbersaite vernehmen können.“
Werner Heisenberg ist davon überzeugt, dass die philosophischen Konsequenzen der Quantenphysik wichtiger sind als die technischen. Für ihn wirft diese auch ein neues Licht auf die Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Religion, zwischen Geist und Materie.

Dank Heisenbergs Arbeit können wir Menschen uns heute als spirituelle und materielle Wesen wiedererkennen und beginnen, diese beiden Aspekte in uns in Einklang bringen. Nur so sind wir imstande, einen Einklang mit den anderen Menschen und der Natur herzustellen, uns als Einzelne mit dem Ganzen zu verbinden.

Literaturhinweis:
• HEISENBERG, Werner. Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper Verlag 2001
• HEISENBERG, Werner. Quantentheorie und Philosophie. Reclam 1986
• DÜRR, Hans-Peter (Hrsg.). Physik und Transzendenz. Die großen Physiker unserer Zeit über ihre Begegnung mit dem Wunderbaren. Driediger Verlag 2010
• Film-Doku: Werner Heisenberg und die Frage nach der Wirklichkeit
• MANN, Christine und Frido. Es werde Licht. Die Einheit von Geist und Materie in der Quantenphysik. Fischer Verlag 2017
• DALAI LAMA: Die Welt in einem einzigen Atom. Meine Reise durch Wissenschaft und Buddhismus. Theseus 2005

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 159 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.

 

Eine Antwort

  1. KRASSE CHRISS sagt:

    DIE SCHÖNSTE BESCHREIBUNG ÜBER MEINE EXISTENZ
    MIT DEM STATEMENT: WAS IST EIN ELEMENTARTEILEN?
    ATOME SIND KEINE DINGE. BEDEUTUNG GEWINNT EINZELNE TEILCHEN IMMER NUR IN VERBINDUNG MIT GANZEM, WAS EIN ELEMENTARTEILCHEN IST, VERSAGT UNSERE SPRACHE.
    VOR ALLEM GIBT MIR EINE ANTWORT:ALS EIN INDIVIDIUUM ÜBER DIE NOTWENIGE ZUGEHÖRIGKEIT IN EINER GESELLSCHAFT

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