Der Zeit ein Schnippchen schlagen
Wie man sie durch Bilder tiefer verstehen lernt
In der europäischen Renaissance des 15. Jahrhunderts erblühen nicht nur Kunst und Wissenschaft zu neuem Leben, auch das antike astrologische Wissen ist wieder omnipräsent. Der Palazzo Schifanoia in Ferrara, Italien, wartet dabei mit einem ganz besonderen Detail auf.
Neben dem Epizentrum Florenz war das Städtchen Ferrara frühzeitig bereits ein Hotspot des geistigen und politischen Geschehens. Es gab eine Universität und 1438 fand ein wichtiges Konzil der römisch-katholischen Kirche in dem Ort an der Po-Mündung statt. Es sollte die Wiedervereinigung der Kirchen des Ostens und des Westens bringen.
Regiert wurden Stadt und Umland in dieser Zeit vom alten Adelsgeschlecht der „Este“. 1471 wurde das Familienoberhaupt Borso d ́Este vom Papst mit Lehen und Herzogtitel bedacht.
In diese Zeit Borsos fällt nun auch das opulente astrologische Bildprogramm im Palazzo Schifanoia. (Der Name Schifanoia wird hergeleitet von schivar la noia, was „die Langeweile verabscheuen“ bedeutet, oder besser „vor der Langeweile fliehen“, was diesen Palazzo zu einem frühen Sanssouci macht. Anm. d. Redaktion)
Dieser ist bereits hundert Jahre zuvor als Lustschloss außerhalb der Stadtmauern errichtet worden. 1469/1470 wird nun der „Salone dei mesi“ mit den farbenfrohen Monatsbildern gestaltet. Das Bildprogramm wird dem Botschafter, Archivar, Berater, Hofastrologen und Humanisten Pellegrino Prisciani zugeschrieben.
DAS WISSEN UM DIE QUALITÄT DER ZEIT
Die Astrologie stand an allen Fürstenhöfen der Zeit hoch im Kurs. Das Wissen um die Zyklen der Zeit und ihre spezifischen Qualitäten war eine Selbstverständlichkeit, die sich auch durch das christliche Mittelalter hindurch bewahrt hatte. Von Borsos Halbbruder, Leonello d`Este, wird berichtet, dass er sich stets farblich entsprechend dem zugehörigen Planeten des jeweiligen Wochentages gekleidet hat. Die sieben Tage der Woche sind den sieben klassischen Planeten, inbegriffen Sonne und Mond, zugeordnet. Dies zeigt ein bemerkenswertes Verständnis von Zeitqualität bei den damaligen Herrschern, das uns heute weitgehend verloren gegangen ist.
Der Bilderzyklus umfasst die zwölf Monatsbilder bzw. Tierkreiszeichen und füllt die Wände des 24 x 11 Meter großen Saals. Heute sind davon nur noch sieben erhalten. Die Raumhöhe von 7,5 Metern erlaubt eine Bildabfolge auf drei Ebenen.
Das oberste Band zeigt die Welt der Götter, also die planetaren Regenten der Tierkreiszeichen, beispielsweise die Göttin Venus für den Stier. Das unterste Band stellt in einer Art Parallelbewegung die Welt der Menschen, den Herrscher und andere zeitgenössische Figuren bei speziellen Ereignissen und Vorgängen, beispielsweise bei der Jagd, dar. All dies ist farbenfroh und detailreich arrangiert.
DIE STERNBILDER UND IHRE RÄTSELHAFTEN BEGLEITER
Das mittlere Band ist übersichtlicher. Es zeigt das Symbol für das jeweilige Tierkreiszeichen, also beispielsweise Waage, Löwen, Jungfrau. Zusätzlich enthält das mittlere Band in jedem Abschnitt drei Figuren, in leuchtenden Farben klar erkennbar auf dunkelblauem Hintergrund. Diese gaben den Forschern lange Zeit Rätsel auf.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts lieferte der deutsche Kunsthistoriker Aby Warburg eine Erklärung für die 36 unbekannten männlichen und weiblichen Figuren auf dem mittleren Band.
Er hatte sich zuvor intensiv mit Darstellungsweisen der antiken Götterwelt beschäftigt und damit, wie sich verschiedene Formen von der Antike bis in die Zeit der Frührenaissance tradiert beziehungsweise verändert hatten. In den Figuren auf dem mittleren Band erkannte er schließlich ein Element der altägyptischen Astrologie, die sogenannten „Dekane“.
Während im oberen Band die Wandelsterne, also die Planeten unseres Sonnensystems, durch die klassischen Götter repräsentiert sind, befinden wir uns beim mittleren Band im Bereich der Fixsternastrologie. Ein „Stern-Bild“ ist eben eine von der Erde aus in bestimmter Weise erkennbare Gruppierung von Fixsternen, also Sonnen. Dieses Bild ist aus unserer Sicht zunächst zweidimensional; tatsächlich befinden sich die einzelnen Sonnen, die es ausmachen, im Weltraum in ganz unterschiedlicher Entfernung von unserem Heimatsystem.
Die Dekane sind ebenfalls Fixsterne. Sie dritteln nun die Sternbilder und geben jedem Abschnitt, also einem Zeitraum von zehn Tagen, nochmals eine zusätzliche spezielle Qualität.