Die Renaissance begann in Köln

Die Renaissance begann in Köln

Renaissance Köln

Die Folgen des neuen Welt- und Menschenbilds

Was war nun die Bedeutung dieser Lehren der Albert-Schule bzw. der Deutschen Mystik für ihre Zeit? Während diese „deutsche Philosophie“ in den gelehrten Zentren Frankreichs und Italiens kaum wahrgenommen wurde, erreichte sie in Deutschland eine unglaubliche Wirkung bei den Laien. Und zwar dadurch, dass sich einige Schüler Alberts der deutschen Sprache zuwandten.

Vor allem entlang des Rheins, aber auch in Oberitalien, Südfrankreich, dem restlichen Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Böhmen und der Schweiz befruchtete das die Bewegung der Beginen und Begarden. So wurden im 13. Jahrhundert die Angehörigen einer christlichen Gemeinschaft genannt, die keine Ordensgelübde ablegten und nicht in Klausur lebten. Die weiblichen Beginen und männlichen Begarden führten ein religiöses, eheloses Leben in Gemeinschaft, in sogenannten Beginen- und Begardenhöfen oder -häusern.

Ziel der Männer und Frauen, die sich selbst Brüder und Schwestern nannten, war die Verwirklichung eines Lebens in der Nachfolge Christi. Dazu studierten und diskutierten sie eifrig die Lehren von Meister Eckhart und anderer Nachfolger von Albert. Im Gegensatz zu Mönchen und Nonnen legten sie ihr Gelübde nur auf Zeit ab, da es legitim war, wieder aus der Gemeinschaft auszuscheiden, zu heiraten und sich ein bürgerliches Leben aufzubauen.

Kloster

Beginen und Begarden lebten in ihren Häusern unter der Leitung einer Meisterin oder eines Meisters, der aus ihrer Mitte meist für ein Jahr gewählt wurde. Die Gemeinschaften erhielten sich selbständig. Beginen arbeiteten als Hebammen, Lehrerinnen, Seidenweberinnen, Spinnerinnen und Wäscherinnen. In der Tuchmacher- und Wappenstickerei erwarben sie sich mit der Qualität ihrer Arbeit hohes Ansehen. Sie bestellten Gemüsegärten und buken Brot. Neben dem Gebet widmeten sie sich auch Werken der tätigen Nächstenliebe, etwa der Krankenpflege, der Betreuung Verlassener, der Seelsorge und der Erziehung, indem sie z.B. auch Mädchenschulen betrieben. Einige bekannte Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg und Margareta Porete waren Beginen.

1299 existierten in Köln 88 Beginenkonvente, einige Jahrzehnte später sogar 169. Die Konvente hatten oft die Größe dörflicher Ansiedlungen und beherbergten bis zu 60 Beginen. Köln hatte im späten Mittelalter über 30.000 Einwohner, und war damit nach Paris, Gent und Brügge die viertgrößte Stadt Europas. Hochgerechnet bedeutet das, dass 8 – 20 % der Kölner Frauen Beginen waren.[1] Das lässt Rückschlüsse auf ihren Einfluss auf das Kultur-, Gesellschafts- und Wirtschaftsleben zu.

Die Gegner treten auf den Plan

Die „göttliche Würde“ des Menschen und die dynamische Aufbruchsstimmung im Deutschen Reich blieben indes nicht unbemerkt und waren anderen kirchlichen Kreisen ein Dorn im Auge. Bereits im 13. Jahrhundert gab es eine Gruppe von Dominikanern, die in Albert nicht den Hermetiker, Magier und Weisen sehen wollten. Sie bemühten sich, ihn auf den Naturwissenschaftler und Vorläufer seines Schülers Thomas von Aquin zu reduzieren, dessen Synthese von religiösem Glauben und aristotelischer Vernunft bald darauf und bis heute zu der Kirchenlehre wurde.

Meister Eckhart wurde vor der päpstlichen Inquisition angeklagt und einige seiner Lehren wurden, nachdem Eckhart während des Prozesses in Avignon gestorben war, nachträglich als häretisch verurteilt. In der päpstlichen Verurteilungsbulle schrieben seine engstirnigen Verfolger, dass es in deutschen Landen Leute gibt, die „mehr wissen wollte(n), als notwendig ist.“
Nicht besser ging es den Beginen und Begarden, die als Laien sogar den Anspruch erhoben, in theologischen Fragen mitzureden. Dies war für den Papst und die Mehrheit der Bischöfe eine unglaubliche Anmaßung und Respektlosigkeit. Außerdem verfassten sie die meisten ihrer religiösen und theologischen Schriften in der Volkssprache, womit sie viele Menschen erreichten, die kein Latein beherrschten. Seit 1307 wurden sie deshalb von Teilen der Kirche bekämpft und verfolgt, von anderen aber auch geschützt. Über die Jahrzehnte wurden unzählige Beginen und Begarden als Ketzer zur Einmauerung oder Verbrennung auf dem Scheiterhaufen verurteilt und der Bewegung letztendlich das Rückgrat gebrochen.

Die Rückkehr mit Renaissance und Humanismus

Florenz

Der gesellschaftliche Impuls, der von der Deutschen Mystik ausging, wurde dadurch zurückgedrängt oder gestoppt. Nicht so die Ideen, die die Deutsche Mystik formulierte. Dietrich von Freiberg, Berthold von Moosburg, Heinrich Seuse, Johannes Tauler und Heymericus de Campo bildeten die Glieder einer Kette, die sie zu Nikolaus von Kues ins 15 Jahrhundert weiter trugen. Durch letzteren befruchteten sie die italienische Renaissance, die ein ähnliches Welt- und Menschenbild formulierte und in Pico de la Mirandulas Schrift „Über die Würde des Menschen“ zur Magna Charta der Renaissance wurde.

Pico hatte Albertus Magnus gelesen und kannte die Ideen der Deutschen Mystik. Er begründete die Würde des Menschen durch die Stellung des Menschen als „Band und Knoten“ des Kosmos, der als Mikrokosmus die Synthese des Universums darstellt. Dieser in der Renaissance begründete Humanismus bildete die ideelle Grundlage dessen, was von späteren Philosophen zu unseren Menschenrechten ausformuliert wurde. Diese Ideen, die im 13. Jahrhundert von dem weisen Albert, seinen Schülern sowie den Beginen und Begarden geträumt wurden, werden heute von fast allen Menschen geträumt.

Mit Guantanamo und dem Erstarken neuer Despoten entsteht gegenwärtig der Eindruck, dass wir uns von diesem humanistischen Weltbild wieder entfernen. Gerade deshalb braucht es Beispiele wie Meister Eckhart, die Beginen oder Pico, die diesen Traum trotz aller Widerstände träumten, sich für seine Realisierung engagierten, und damit eine bessere Zukunft bauten.

Literatur:

  • Loris Sturlese, Homo Divinus. Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse
  • Pico della Miarandola, Über die Würde des Menschen
  • Wikipedia: Beginen und Begarden

[1] Albertus Magnus, Metaphysik I, 1, 1, ed. B. Geyer, Münster i. W. 1960, S. 2
[2] Papst Innozenz III, Traktat „Vom Elend des menschlichen Daseins“ (De miseria humanae conditionis), 1195
[3] Meister Eckhart, Deutsche Predigten
[4] http://www.frauenwissen.at/beginen.php, abgerufen am 19.7.2021


Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 151 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.

 

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