Die Reue des Prometheus

Die Reue des Prometheus

Prometheus

Eine echte „Wende zu ‚pazifistischen‘ Formen der Energiegewinnung” würde tendenziell die bestehenden politischen Einheiten verkleinern, lokale Strukturen stärken, die Rolle von Bürgermeistern gegenüber den Staats- und Regierungschefs stärken.
Die Menschen gewännen lokal an Einfluss, weil sie sich um ihren unmittelbaren Lebensraum kümmern würden – und das auch wollen.

„Kurzum, die Helvetisierung (die „Verschweizerung“, d. h. basisdemokratischer, kleinteiliger, Anm. d. Red.) des Planeten allein würde die Weltkultur von ihren großstaatlichen und hypermetropolitanen Gewaltmärschen in die Natur- und Selbstzerstörung abbringen.”

Ein Einfluss-Zugewinn für kleinere politische Einheiten hätte, so Sloterdijk, einen Demokratisierungseffekt, die „Zweideutigkeit der Repräsentativsysteme“ würden „realdemokratischen Verhältnissen“ weichen. Von dieser Perspektive aus betrachtet ist es ein hoffnungsfrohes Zeichen, dass in Deutschland einzelne Städte Pakte mit Aktivisten der „Letzten Generation“ schließen. In einem Interview sagte er, er wäre beunruhigt, wenn die „Letzte Generation“ keine Klebeaktionen machen würde. „Das würde nämlich beweisen, dass die gesamte Jugend sich von Bildern des amüsanten Lebens hätte verführen lassen.“

Kollektive Bewusstmachung

Dennoch: Sloterdijk ist kein Revolutionär, er will auch keiner sein. Den radikalen schwedischen Klimaaktivisten Andreas Malm hält er gar für gefährlich, hält dafür die Analysen Bruno Latours hoch, dem das Buch auch gewidmet ist.
Der 2022 verstorbene französische Techniksoziologe und Philosoph hatte angesichts der sich materialisierenden Klimakatastrophe einen Krieg „außerhalb aller bisherigen Kriegs- und Klassenkampfgeschichte“ skizziert. In diesem Krieg stünden die sorgenvollen, sich der Katastrophe bewussten Menschen, die „Kinder Gaias“, den Verweigerern gegenüber, die aufgrund ihrer politischen und finanziellen Potenz Überlebensalternativen hätten – ob auf Erden oder im All.
Nötig sei in diesem Kontext nicht Aktionismus, der stets der Steigerung bedürfe, die einmal in Gewalt münden könne, als vielmehr der gewaltfreie Weg „einer weitesträumigen kollektiven Bewusstmachung unter dem Eindruck von Zeitnot und Handlungsgebot”.

Demonstration

Keine Frage: Die kurze Lektüre birgt nachhaltigen Mehrwert. Es ist ein verdichteter, pointierter Pinselstrich, der voller Sorge einen heißen Gedanken ausdrückt. Zugleich ist es ein essayistisch brillantes Malen der immanenten Schönheit der Welt mittels philogefärbter Sprache.
Der Autor schreibt, als ob er seinen Lesern wieder das Staunen ob des Wunders der bloßen Existenz der Erde und unseres Daseins in ihrer „kritischen Zone“ nahelegen wollte. Und das müsste und sollte genügen, um sich selbst und ständig wachzurütteln.

„Ein philosophisch besonnener Begriff der Welt hätte diese als Inbegriff der Offenheit aufzufassen – einer Verbindlichkeit fordernden Offenheit, sprich eines Immersionsraums, in dem wir, ekstatisch eintauchend, in eine Lage geraten, aus der die Gegenstände der Sorge und der Empörung auf uns zukommen, ebenso wie die Anblicke des schönen oder Erhabenen, die Blitzschläge des Erkennens und die gemeinsamen Fabrikationen des Wahren sowie die Forderungen der Gerechtigkeit.“
Vor allem aber müsse sich eine nach-prometheische Handlungsweise der „Verantwortlichkeit“ stellen, und im Verbund – die erwähnten Fire-Fighters – alles dafür tun, um die Brände der Welt zu löschen. Soviel nur. Weniger geht im Jahr 2024 auf keinen Fall.


Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 173 (2024) des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.