Marsilio Ficino
Die Liebe als Schlüssel zur Spiritualität
Nicht die Erkenntnis von Gott führt uns in den Himmel zurück. Nein – das vermag nur die Liebe, ist Marsilio Ficino überzeugt. In diesem Sinn versteht er Spiritualität als eine ständige Bewegung zwischen Himmel und Erde. Und dazu brauchen wir unser ganzes Herz…
Marsilio Ficino war einer der wirkkräftigsten Menschen in der Philosophie. Er gilt als eine Schlüsselfigur, die das Mittelalter durch seine Übersetzung der Werke von Platon beendete. Damit hat er das Erbe der Vergangenheit in seine Zeit geholt und mit seiner Platonischen Akademie einen „Hof“ geschaffen, der die Renaissance in ganz Europa entflammte – und zwar sowohl die Köpfe als auch die Herzen der Menschen.
Florenz war Mitte des 15. Jahrhunderts Gastgeber des Konzils von Ferrara-Florenz, mit der Intention, die Ost- und Westkirche wieder zu vereinen. Gelehrte und Mystiker aus dem Osten waren vor Ort – darunter auch die Neuplatoniker Plethon und Nicolaus von Kues. Sie schienen innerhalb der Kirche weniger Gehör gefunden zu haben als vonseiten der aufkeimenden philosophischen Community der Stadt.
Cosimo di Medici beauftragte schließlich Ficino, die Werke Platons nach einem knappen Jahrtausend wieder ins Lateinische zu übersetzen. Ein knappes Jahrtausend, in dem das Weltbild der Antike vom westeuropäischen Boden verschluckt zu sein schien.
Es entwickelte sich sehr schnell eine philosophische Schule nach dem Vorbild Platons, wobei Cosimo de Medici den materiellen Rahmen bereitete und Ficino die geistigen Samen setzte. Künstler, Gelehrte, Poeten, Politiker bis hin zu Bischöfen sammelten sich um die Achse der Philosophie. Florenz wurde so immer mehr zum europäischen Zentrum für die Wiederentdeckung der Werte der Antike. Der Mensch mit seinen geistigen Kräften rückte wieder ins Zentrum. Die Wiege der Renaissance war bereitet.
Die Rolle der Liebe
In viererlei Hinsicht spielt die Liebe sowohl bei Platon als auch in der Renaissance eine tragende Rolle. Die Liebe ist die maßgebliche Triebkraft aller Dinge, sowohl für den Aufstieg der Seele zu Gott als auch zur Verwirklichung Gottes in der Welt: In der griechisch-römischen Mythologie erscheint die Liebesgöttin in zweifacher Gestalt: Venus (Aphrodite) Pandemos und Venus (Aphrodite) Urania.
In diesem Leben Gott wahrhaft zu erkennen, ist ganz unmöglich; ihn aber wahrhaft zu lieben… ist möglich und leicht zu tun. Diejenigen, welche Gott erkennen, haben noch nicht sein Wohlgefallen, wenn sie ihn nicht auch lieben. Die ihn erkennen und lieben, werden von Gott wieder geliebt, nicht weil sie ihn erkennen, sondern weil sie ihn lieben. Auch wir haben ja nicht die lieb, welche uns kennen, sondern die, welche uns lieben; denn viele von denen, die uns kennen, haben wir zu Feinden. Was uns also in den Himmel zurückführt, ist nicht die Erkenntnis Gottes, sondern die Liebe.
Marsilio Ficino
Venus Urania
ist die himmlische Liebe, die Liebe zum Göttlichen, zum Ideal, zur Weisheit – jene Liebe also, die zum Himmel blickt, die uns erhebt.
Venus Pandemos
symbolisiert die irdische Liebe, die Liebe zum Konkreten, zur Welt. Zu anderen Menschen zur Natur, zur Arbeit, zur Handlung. Nicht aber im abgewerteten Sinne der irdischen Verführung, sondern als zweiter Teil derselben Kraft, die den Menschen letztlich entwickelt.
Venus Pandemos verkörpert die Umsetzung des Schönen, Guten und Gerechten. Plastisch, elastisch, – je nachdem, welches Setting die Situation gerade aufspannt. Es erfordert Liebe und Hinwendung, zu erspüren, was genau der Mensch, der Moment oder ein Umstand gerade braucht. Welche Haltungen, welche Worte, welche Taten.
Venus Pandemos ist jener Motor in uns, der uns dazu bewegt, Dinge möglichst gut, möglichst schön, möglichst stimmig zu gestalten. Von einem Gespräch bis zu einer Kathedrale. Wortwörtlich heißt es: