Wie konnten wir unsere Seele vergessen?

Wie konnten wir unsere Seele vergessen?

DIE LEBENDIGE SEELE IN UNS – NACH C. G. JUNG

Laut Jung nehmen wir alles Wissen über die Welt und uns selbst nur über unsere Psyche wahr. Sie verfügt über eine eigene Dynamik und Lebendigkeit und verfolgt ein Ziel: Sie strebt nach Verwirklichung und Ganzwerdung.
Das Zentrum der Seele ist das „Selbst“ die Inder nennen es Atma oder Brahma, Meister Eckhart benutzt den Begriff des göttlichen Funkens. Es ist das „Kernatom der Seele“ und Jung beschreibt es als ein inneres wegweisendes Zentrum, das nach Reifung und Ausweitung der Persönlichkeit strebt. Oft nehmen wir es wahr als innere Stimme, eine Art Berufung, die uns auffordert, uns dem Innenleben zuzuwenden, dem von Jung bezeichneten „Individuationsprozess“.
Er meint:

„Das einzig lebenswerte Abenteuer kann für den modernen Menschen nur noch innen zu finden sein.“

Oft folgen wir diesem Ruf der Seele nicht, sondern lassen uns von den Verlockungen des äußeren Lebens verführen: Besitz, Macht, Karriere, Freizeitkult und Reiseabenteuern. Obwohl scheinbar „alles in Ordnung ist“, und im Äußeren offensichtlich alles stimmt, empfindet man innere Leere, Sinnlosigkeit, seelisches Leid. Oder das Schicksal greift ein mit einem harten Schlag – einem Weckruf der Seele oder des Selbst. Es drängt und fordert, sich dem Inneren zuzuwenden.


DER INDIVIDUATIONSPROZESS – DIE INNERE SELBSTVERWIRKLICHUNG

Held

Jung beschreibt den Individuationsprozess als die einzig wahre menschliche Aufgabe. Er sei der Reifungs- und Selbstwerdungsprozess des Einzelnen. Dieser archetypische Prozess schlägt sich in allen Kulturen als Heldenmythos nieder (z. B. in den Geschichten über Herakles, Gilgamesch, Arjuna oder Parzifal). Auch die modernen Film-Epen und Serien prägt er, denken Sie nur an „Herr der Ringe“, „Star-Wars“, „Harry Potter oder „Game of Thrones“. Der Heldenmythos ist die Geschichte jedes einzelnen Menschen – diese Helden sind wir selbst! Deshalb ziehen uns ihre Proben und Kämpfe, ihr Leid und ihre Abenteuer so in den Bann. Wir identifizieren uns mit ihnen!

Diese sehr kurze Beschreibung möge Ihnen bewusst machen, dass die Seele sehr lebendig ist und Ihnen eine hilfreiche Gefährtin sein kann – wenn Sie ihre Wirklichkeit anerkennen und ihre Weckrufe hören. Wie immer in der Serie Lebenskunst hier ein paar konkrete Hinweise:

WIE KANN ICH DEN RUF MEINER SEELE WAHRNEHMEN?

Die Seele wahrnehmen

Auf das Herz hören:

Trauen Sie Ihrem Herzen und nicht nur der Wissenschaft oder der Vernunft.

„Das Herz kennt Gründe, von denen der Verstand nichts weiß.“

Blaise Pascal

Gefühle wahrnehmen und äußern:

Gefühle sind sehr lebendig in uns und bringen unsere Seele in Schwingung. Sie sind die Boten unserer Bedürfnisse und helfen uns, den Ruf des Selbst zu hören.

Die Lebendigkeit in allem wahrnehmen:

einen Baum umarmen, dem Plätschern eines Flusses lauschen, sich vom Vogelgesang bezaubern lassen.

„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Kant

Sich künstlerisch betätigen – das aktiviert die Seele:

malen, singen, musizieren, tanzen, modellieren etc. Jung malte Mandalas und betätigte sich als Steinmetz, als er sein Unbewusstes erforschte.
Dankbarkeit: Sie verbindet uns mit Menschen und alle anderen Wesen. Sie bereichert uns und erfüllt uns mit Glück und Freude.
Lassen Sie Ihre Seele tanzen, denn

„Tanz ist die Kunst, die die Seele des
Menschen am meisten bewegt.“

Platon

DIE VIER PHASEN DES INDIVIDUATIONSPROZESSES ALIAS HELDENMYTHOS:

  1. DIFFERENZIERUNG / AUFBRUCH DES HELDEN
    Der Held bricht aus der Heimat auf und verlässt die vertraute, sichere Umgebung. Übertragen bedeutet es, dass wir uns plötzlich „anders“ fühlen als die Menschen unserer Umgebung.
    Diese geben sich oft mit einer oberflächlichen Existenz zufrieden, man selbst fühlt, dass das Leben mehr zu bieten hat und begibt sich auf die Suche nach innerer Tiefe.
  2. DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM SCHATTEN / DIE KÄMPFE
    Der Held muss Drachen, wilde Tiere besiegen oder gegen dunkle Mächte kämpfen und begibt sich auf einen Weg der Proben. Dieser steht symbolisch für die Auseinandersetzung mit unserem Unbewussten, unseren dunklen Elementen, Schwächen, Fehlern, verdrängten Aspekten, aber auch noch unbekannten Stärken.
  3. HILFE UND HINWEISE VON AUSSEN / ANIMUS UND ANIMA
    Wenn man sich mutig den Feinden und dem Schatten stellt, empfängt man oft unerwartete Hilfe: überraschende Hinweise, glückliche Zufälle oder auch hilfreiche Menschen usw. Jung bringt das mit dem inneren unbewussten
    und gegengeschlechtlichen Seelenteil in Verbindung, der Männer mit der Liebesfähigkeit und Frauen mit der Erkenntnisfähigkeit unterstützt. Und zur Ganzheitlichkeit verhilft.
  4. BEGEGNUNG MIT DEM SELBST / SIEG, HOCHZEIT, HIMMELFAHRT
    Nach bestandenen Proben gibt es eine Sieges- oder Hochzeitsfeier, Friede und Freude breiten sich aus. Ende gut alles gut. Das symbolisiert den Kontakt mit dem Selbst, unserem göttlichen Zentrum. Wir empfinden Frieden und anzheitlichkeit, haben unseren Sinn gefunden und … brechen möglicherweise zum nächsten Abenteuer auf – nun jedoch ausgestattet mit vielen hilfreichen lebendigen Seelenkräften und Tugendmächten.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 166 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.