Bewusst-Sein und Bewusst-Werden
Bewusstsein als Achtsamkeit und Gewahrsein
Das sind Begriffe aus der „buddhistischen Psychologie“. Im Gegensatz zu der seit 100 Jahren bestehenden westlichen Psychologie existiert die buddhistische Bewusstseinsdisziplin seit 2500 Jahren. Beide haben völlig verschiedene Ansätze. Der Westen sucht nachprüfbare objektive Ergebnisse und Definitionen. Der östliche Weg betont Erforschung und Schulung des Geistes und praktische Erfahrung: Es geht um ein „Bewusst-Werden.“
Dabei erfährt man, wie man aus Automatismen und zerstörerischen Gedankenkreisen herauskommt, nämlich mittels Achtsamkeit. Ein buddhistischer Gelehrter und Mönch definiert sie als „das klare und zielstrebige Gewahrsein dessen, was in den sukzessiven Momenten der Wahrnehmung gerade mit und in uns geschieht“.
Ich erinnere mich an die Rückmeldung einer Kursteilnehmerin, die diese Achtsamkeitsübung eine Woche lang durchführte. Sie war erschrocken über die vielen negativen Gedanken und Gefühle, die sie in sich entdeckte. Und sie war nicht die Einzige. Auch ich kenne das gut – und konnte mich größtenteils davon befreien. Das braucht innere Bewusstseinsarbeit. Denn viele wachsen mit einem feindseligen Menschenbild auf. Es ist geprägt von Konkurrenz und Wettbewerb, gegen das man sich mit einer Maske der Stärke und Sicherheit schützt. Und weil man sich oft bedroht fühlt, misstraut man den anderen oft und unterstellt ihnen schlechte Absichten.
Nicht nur der Buddhismus, sondern auch antike westliche Denker empfehlen zahlreiche Methoden, wie man negative Bewusstseinszustände erkennt, wahrnimmt und in eine förderliche innere Haltung transformiert. Die Epikureer erklären, dass man ständig eine wohlüberlegte Wahl treffen muss. Anstatt immer über Probleme und Übel nachzudenken und sich darauf vorzubereiten, möge man im Hier und Jetzt leben. Die Gedanken von schmerzhaften Dingen ablösen und den Blick auf das Positive lenken. Doch was tun bei Schwierigkeiten?
Bewusstseinserweiterung durch Probleme?
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben, sagt der stoische Philosoph Epiktet. Es sind unsere Haltungen und Vorstellungen, wie etwas sein soll. Wie ein anderer Mensch sich verhalten, der Urlaub verlaufen oder das Wetter sich entwickeln soll. Wenn wir aber loslassen und uns auf das Abenteuer Leben einlassen, dann begegnen uns überall Gelegenheiten zum Lernen. Eine Haltung der Offenheit und Neugierde, gepaart mit Flexibilität, ist die Voraussetzung, weise zu werden. Das Leben ist voller Überraschungen und in jeder Situation haben wir die Gelegenheit, unsere Reaktion zu entscheiden. Der Manager Stephen Covey erklärt, dass zwischen einem Reiz und unserer Reaktion ein Entscheidungsfreiraum liegt. Hier können wir die Pause-Taste drücken und Bewusstsein, Wille und Vorstellungskraft aktivieren und eine Handlung oder Worte wählen, die mit unseren Werten in Kontakt steht. Und so aus den ungewollten Gewohnheitsmustern aussteigen.
Dazu ein Beispiel: Ein Referent wollte zu einem Kongress fliegen, auf dem er den Hauptvortrag halten sollte. Auf dem Flughafen angekommen, las er auf der Anzeigetafel, dass der einzige Flug zum Ort des Kongresses gestrichen worden war. Seine Reaktion auf diese Psychologie unerwartete Wendung war ein Satz, den man sich in schwierigen Situationen ins Gedächtnis rufen kann: „Nun bin ich aber mal gespannt, wie mein Leben jetzt weitergeht!“ So eine Haltung ist Zeichen eines zentrierten Bewusstseins.
„Das Selbst definiert C. G. Jung als „Kernatom der Seele“, das sowohl Bewusstes als auch Unbewusstes enthält.“
Bewusstsein als Zentriertheit
In unseren Kursen arbeiten wir mit einer Grafik, die für viele Teilnehmer sehr nützlich ist. Sie erläutert den praktischen Aspekt des Bewusstseins als inneres Zentrum, von dem aus man in verschiedene Rollen des Lebens schlüpft. Ziel ist, in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Idealen ganz bewusst zu agieren. Das ist Authentizität im philosophischen Sinne. So bleibt man sich in den unterschiedlichen Lebensbereichen treu. Und kann gleichzeitig einfühlsam und selbstbewusst mit den anderen in Kontakt treten.
In der Grafik sind sechs Lebensbereiche abgebildet. Ein Beispiel: Jeder Mensch ist seiner Eltern Kind, wir sind alle Bürger der Gesellschaft, meistens hat man einen Job, oft einen Partner und/oder man ist Elternteil. Man hat Freunde und vielleicht auch das eine oder andere Hobby oder gesellschaftliches Engagement. Jedes Mal treffen wir mit unterschiedlichen Menschen zusammen, stehen in jeweils anderer Beziehung. Z. B. sind wir im Job einem Chef untergeordnet, haben jedoch in der Freizeit vielleicht eine Führungsposition. Wenn wir unsere Eltern treffen, gibt es klare Erwartungen aus der Familiengeschichte. Wenn ich davon frei werden will, kann ich einen Konflikt erleben. Dazu sollte ich mich bewusst entscheiden und gleichzeitig auch wohlüberlegt und einfühlsam in das Gespräch gehen.
Der Wechsel von einem Lebensbereich zum anderen, also von einer Rolle zur anderen, sollte immer über das Zentrum erfolgen. Hier sitzt das Bewusstsein, das im Idealfall alles aus der Vogelperspektive beobachtet. Von oben trägt es dazu bei, dass wir unser Denken, Sprechen und Handeln in Übereinstimmung mit unseren Werten wählen: uns selbst treu bleiben und aus einer inneren Ruhe heraus agieren. Wenn wir einen Lebensbereich verlassen, also z. B. den Arbeitsplatz, können wir unterwegs reflektieren, wie zentriert und bewusst wir agiert haben. Uns mit dem Zentrum verbinden und mit Achtsamkeit die nächste Aktivität beginnen.