Corona: die Natur ist nicht unser Feind
Immer mehr Menschen erkennen, dass wir dabei sind, unsere natürliche Lebensgrundlage, die Natur und unseren Planeten Erde zu zerstören. Viele sind auch bereit, Teile ihres Lebensstiles zu hinterfragen und zu verändern. Sie reduzieren ihren Fleischkonsum oder denken darüber nach, weniger Flugreisen zu machen. Die Ursache dieser Krise ist aber tiefer. Unser Welt- und Menschenbild ist nicht nachhaltig und daher nicht zukunftsfähig. Mit dem Coronavirus kommt das mechanistische Weltbild der Moderne an einen Kipppunkt.
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.
Albert Einstein
Seit dem 17. Jahrhundert setzte sich zunehmend Descartes Vorstellung durch, dass die Natur eine seelenlose Maschine ist. Auch wenn die Wissenschaft sich von Gott abwendete, übernahm sie dennoch die biblische Aussage „Mach dir die Erde untertan“. Es begann der Siegeszug der Technik und der Mensch eignete sich mit zunehmender Geschwindigkeit natürliche Lebensräume an. Viele Pflanzen, Tieren, ganze ökologische Systeme wie Regenwälder wurden und werden ausgebeutet, vernichtet und ausgerottet. Sie haben keinen Eigensinn, sondern sind einfach materielle Ressourcen, die der Mensch nach Belieben behandeln und ausbeuten kann. Selbst Menschen werden global gesehen heute oft als ausbeutbare Ressourcen behandelt. Industriebetriebe bezeichnen ihre Angestellten im Sinne dieser Logik auch als human ressources.
Viren verhalten sich wie wir Menschen
Das Verhalten des Coronavirus erinnert mich dabei an jenes von uns Menschen. Um sich vermehren zu können, schleusen sie ihr Genmaterial in unsere Körperzellen und kapern die „Zellmaschinerie“, um sich selbst zu reproduzieren. Sie kapern also ein Lebewesen, beuten es aus und nehmen dabei selbst den Tod ihres Wirtes (oder ökologischen Systems) in Kauf, nur um selbst eine Zeit lang gut leben zu können.
Die Reaktion von Politik und Wissenschaft auf die Pandemie folgt wiederum ganz dem Denken des mechanistischen Weltbildes. Viele sprechen von einem Krieg. Das Bild des Feindes, den Coronavirus, sieht man hinter jedem Nachrichtensprecher abgebildet. Gegen ihn gilt es die Reihen zu schließen. An der Spitze der Armee, die gegen den Virus antritt, befinden sich jene Wissenschaftler, die nach wie vor dem mechanistischen Weltbild anhängen und in ihrem Gefolge die pharmazeutische Industrie mit ihren Medikamenten und Impfstoffen. Dabei negieren sie die Paradigmenwechsel der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrzehnte.
Die Natur ist nicht unser Feind
Vor der Dominanz des westlichen mechanistischen Ansatzes betrachteten fast alle Kulturen den Menschen als Teil der Natur, Mutter Erde war ihnen heilig. Diese von Liebe und Dankbarkeit getragene Beziehung kann man zum Beispiel in der Rede des Häuptlings Seattle erleben, die unter dem Titel „Wir sind ein Teil der Erde“ bekannt geworden ist.
Unsere Zeit hingegen hat sich von der Natur entfremdet. Die Grundlagen dazu legten die monotheistischen Religionen, die die Frauen und das Weibliche begannen abzuwerten. Die Natur, die zuvor als weibliche Seite des Göttlichen verehrt wurde, wurde nun zum Feind. Sexualität, Lust und Fruchtbarkeit galten nun als sündhaft und gehörten zum Revier des Teufels.
Im mechanistischen Zeitalter sieht man die Natur ebenfalls als Bedrohung. Flüsse wurden begradigt und in Betonsärgen durch die Städte geleitet. Den fruchtbaren Schlamm der Flüsse ersetzten wir hingegen mit Kunstdüngern, die die Mikroorganismen und das Bodenleben zerstören, durch schwerste landwirtschaftliche Maschinen werden die Böden zusätzlich verdichtet und zusätzlich degradiert. Mit mechanistischer Logik geplante Flurbereinigungen und Monokulturen reduzieren die Artenvielfalt. In der Landwirtschaft benützen wir die stärksten Gifte. Glyphosat etwa ist ein Breitband- und Totalherbizid. Das bedeutet, dass alle (!) damit behandelten Pflanzen absterben.
Mit diesen und zahlreichen ähnlichen Maßnahmen ist es der Menschheit gelungen, das sechste große Artensterben zu bewirken. Zahlreiche „Wirte“, also Ökosysteme wurden bereits durch den Menschen zerstört. Durch die Verringerung der Biodiversität gefährden wir sogar die Erde, unser Muttersystem.
Auch Mikroorganismen sind nicht unser Feind
Durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte wissen wir, dass Milliarden Bakterien, Viren, Pilze und andere Mikroorganismen das Bodenleben fruchtbarer Erde bilden und auch zur Natur des Menschen gehören. Diese Milliarden von Kleinstlebewesen bilden das Mikrobiom unseres Körpers und erfüllen lebenswichtige Aufgaben. Sie regulieren unser Immunsystem, sind an Verdauung und Stoffwechsel beteiligt, halten Nerven und Gehirn in Schwung und regeln den Hormonhaushalt. Ohne sie wäre ein Mensch nicht lebensfähig. Wer seinen Körper und sein Mikrobiom besser verstehen will, empfehle ich das Buch „Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit“ von Anne Katharina Zschocke.
Wie können wir diese Erkenntnisse anwenden?
Mikrobiom stärken
Wenn schädliche Viren, Bakterien oder Pilze uns angreifen, sollten wir unser Mikrobiom stärken. Am besten bereits präventiv durch eine biologische und ausgewogene Ernährung. Wenn unser Mikrobiom eine große Biodiversität hat, ist es selbst in der Lage sich gegen diese Eindringlinge zu wehren. Eingriffe durch Anti-biotika (übersetzt: gegen das Leben) sollten nur Notmaßnahmen sein, da sie unser Mikrobiom angreifen, dass uns eigentlich schützen sollte. Für Notfälle gibt es auch noch die Apotheke der Natur. Die Zistrose ist zum Beispiel eine solche Pflanze, die durch einen Schutzfilm in einem großen Ausmaß verhindert, dass Viren unsere Körperzellen kapern können. In medizinischen Tests wurde eine hohe antivirale Wirksamkeit nachgewiesen.
Körperhygiene
Körperhygiene und Hände mit Seife waschen gehören zu einer guten Körperpflege. Der Einsatz von Desinfektionsmitteln zerstört hingegen jene Mikroorganismen, die dabei helfen, unser natürliches Schutzschild zu produzieren. Statt mit Chemie zu reinigen, könnte man auf Effektive Mikroorganismen umsteigen.
Ich halte es für einen schweren Fehler, den Coronavirus zu unserem Feind zu erklären. Diese Art des Denkens hat genau die Entfremdung mit der Natur hervorgerufen, in der wir uns heute befinden. Wir haben die Natur je nach ihrem unmittelbaren Nutzen für den Menschen in Nützlinge und Schädlinge eingeteilt und Letztere versuchen wir zu vernichten. In der systemischen Biologie und Medizin verstehen wir aber heute, dass das was uns vordergründig als schädlich erscheint, gleichzeitig essentiell für das Ökosystem ist. Borkenkäfer zum Beispiel suchen sich immer geschwächte Bäume aus, die sie dann befallen. Damit tragen sie gleichzeitig zur Gesundheit des Waldes bei.
Um die gegenwärtige Krise zu überwinden, brauchen wir ein Verständnis der Verbundenheit und der Zusammenhänge der Natur. Die Natur als Ganzes und ihre Milliarden von Einzellebewesen beschenken uns mit einer unglaublichen Großzügigkeit und Fülle. Wer das wieder wahrnehmen kann, entwickelt eine große Dankbarkeit und Liebe.
Einklang mit der Natur bedeutet nicht, auf Technik und die Errungenschaften der Wissenschaften zu verzichten. Es gibt eine Wissenschaft und Technik, die gegen die Natur und das Leben arbeitet. Das sehen wir am Beispiel der Pestizide oder des missbräuchlichen Antibiotika-Einsatzes.
Es gibt aber auch eine Wissenschaft und Technik, die mit der Natur arbeitet. Wenn wir die Natur genau beobachten, finden wir darin sogar die besten (technischen) Lösungen. Gute Beispiele sind neben vielen anderen die Permakultur, die Naturmedizin, die Holzbautechnik von Erwin Thoma oder der gesamte Bereich der Bionik. Mit dieser Art des Denkens und Handelns respektieren wir die Naturgesetze, fügen uns in die Kreislaufsysteme der Natur ein und können der Natur sogar helfen.
Die Natur zu akzeptieren bedeutet auch, den Tod zu akzeptieren, der auch ein Teil der Natur ist. Philosophisch gesehen stellen wir uns dadurch die Frage, was unsere innere Natur als Mensch ist, ob wir wie Platon und viele andere Philosophen sagen, eine unsterbliche Seele sind. Der Tod begrenzt unsere Lebenszeit und konfrontiert uns mit der Frage, wofür wir unsere Zeit benützen und welchen Sinn wir damit unserem Leben geben wollen. Aus Sicht der Philosophie geht es nicht darum, den Tod zu besiegen. Sondern darum, sein Leben für die Dinge hinzugeben, die man als wertvoll erachtet.
Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 161 (3/2020) des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.
Literaturemfehlungen:
- Volker Arzt, Kumpel und Komplizen: Warum die Natur auf Partnerschaft setzt
- Fritjof Capra, Lebensnetz: Ein neues Verständnis der lebendigen Welt
- Satish Kumar, Soil, Soul, Society
- Llewellyn Vaughan-Lee (Hrsg-), Spirituelle Ökologie
- James Lovelock, Gaia, Die Erde ist ein Lebewesen
- Vandana Shiwa, Jenseits des Wachstums: Warum wir mit der Erde Frieden schließen müssen
- Erwin Thoma, Strategien der Natur
- Anne Katharina Zschocke, Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit
6 Antworten
…aus der Mitte des Herzens geschrieben, danke!
Wundervoll! ❤️
Großartig.
[…] fühle ich mich in Deutschland auf einer privilegierten Insel und jetzt noch mehr. Wenn ich die Situation auf der Welt betrachte, wie viele Menschen einsam und unter Schmerzen sterben, krank oder arbeitslos sind, […]
Danke für diese wunderbaren und LIEBEvollen Zeilen – sie haben mich sehr berührt ❤️
Sie verleihen genau dem Ausdruck, was mich bewegt. Danke.
Spricht mir aus der Seele, aus dem Herzen. Wie können wir darauf hinwirken, dass möglichst viele Menschen sich zumindest dieser Sichtweise/Denkweise/Erkenntnis einmal annehmen und sie auf sich einwirken lassen – um möglicherweise dann doch eine Veränderung im Miteinander mit der Natur, mit den Mitmenschen, mit den Mit-Lebewesen zu erlangen? Solche Vorträge sind schon mal ein Schritt — bitte mehr davon – bitte in noch größerem Rahmen.
Herzlichen Dank für die inspirierenden Worte !