Das wahre Glück des Augenblicks
Man kann sich auch Leid zufügen, wenn man die Vergangenheit nicht anerkennt
indem man fordert, dass die Vergangenheit nicht so sein soll, wie sie wirklich war. Beispielsweise kann man der Auffassung sein, dass man in der Vergangenheit anders hätte handeln sollen, als man tatsächlich gehandelt hat oder dass einem Krankheit, Unfall, Trennung, Verlust usw. nicht hätten passieren sollen. Wenn man diese Ansicht für wahr hält, leidet man. Zu meinem Glück bin ich nicht mehr dieser Meinung und füge mir dieses Leid daher auch nicht mehr zu.
Wieso fiel mir nicht auf, dass es ein Irrsinn ist, wenn ich von Etwas, das in diesem Moment existiert, fordere, dass es nicht existieren solle? Weil ich die Ansicht, dass der Augenblick nicht so sein solle, wie er ist, offensichtlich für berechtigt und wahr hielt.
Glück und Augenblick
Irgendwann fragte ich mich jedoch: Ist es wirklich wahr, dass dieser Augenblick nicht so sein sollte, wie er ist?
Mir wurde klar, dass diese Auffassung gar nicht stimmt. Wahr ist vielmehr, dass dieser Augenblick so sein soll, wie er ist, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er tatsächlich so ist, wie er ist. Ich hielt die Meinung, dass der Augenblick nicht so sein solle, wie er ist, offenbar nur deshalb für berechtigt und wahr, weil sie mir die Illusion verschaffte, dass ich auf diese Weise die Kontrolle über das momentane Geschehen hätte.
Vor allem stellte sich für mich aber die Frage: Wie sollte es möglich sein, dass ich in diesem Moment glücklich bin, wenn ich das augenblickliche Geschehen bekämpfe?
Muss sich wirklich etwas am Augenblick ändern, damit ich glücklich bin?
Tatsächlich ist es gar nicht wahr, dass erst eine Änderung dieses Augenblicks mir Frieden und damit Glück bringen würde. Glück ist dann da, wenn ich die Wirklichkeit dieses Moments anerkenne und daher mit dem augenblicklichen Geschehen eins bin, egal, worin es besteht.
Der perfekte Moment, den ich mir vorstelle und wünsche, wird vielleicht niemals eintreten. Dabei ist jeder Moment insofern perfekt, weil man ihm weder etwas hinzufügen noch etwas aus ihm entfernen kann. Allerdings bin ich mir dessen dann nicht bewusst, wenn mich etwas im Augenblick stört und ich es deshalb weghaben will oder der Ansicht bin, dass im Augenblick etwas fehlen würde.
Wenn ich zum Beispiel unzufrieden bin und diese momentane Unzufriedenheit mich stört und ich sie daher bekämpfe, dann verstärke ich sie nicht nur mit meinem Widerstand, sondern mache sie überhaupt erst zu einem Problem. Wenn ich die augenblickliche Unzufriedenheit dagegen als real anerkenne und so in Frieden mit ihr lebe, dann bin ich in diesem Moment zufrieden. Wenn ich gerade unruhig bin und diese Unruhe weghaben will, weil sie meinem Idealbild eines gelassenen Menschen widerspricht, dann bin ich voller Unruhe. Wenn ich dagegen zugebe, dass ich gerade unruhig bin, und damit die Realität der Unruhe achte, dann mag ich zwar äußerlich weiterhin unruhig sein, ganz tief in meinem Inneren bin ich dagegen ruhig.
Auch lässt mich die Annahme des gegenwärtigen Geschehens überhaupt erst adäquat handeln.
Wenn ich zum Beispiel einfach zur Kenntnis nehme, dass im Augenblick Schmerzen da sind, ohne sie gleich zu verurteilen oder wegzuwünschen, dann bin ich in der Lage, darauf zu hören, was die Schmerzen mir zu sagen haben, und kann sinnvoll auf sie reagieren. Wenn ich akzeptiere, dass ein Unfall, eine Krankheit, eine Trennung passiert sind und die dadurch entstandene neue Situation annehme, verharre ich nicht mehr im leidvollen Hadern, sondern wende mich wieder dem Leben zu und sehe die darin enthaltenen Möglichkeiten.
Wenn ich die augenblickliche Wirklichkeit anerkenne und sie bejahe, bin ich sogar grundlos glücklich, da mein Glück nicht mehr von den Bedingungen des Augenblicks abhängt. Und ein Glück, das von keinen Bedingungen abhängt, ist tatsächlich das wahre Glück.
Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 175 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.