David Hume: der sanfte schottische Riese

Das Mitgefühl – Hume bezeichnet es auch als Sympathie – ist schwächer als das Eigeninteresse. Vor allem zieht er eine Grenze zwischen nahen Personen wie Freunden und Familie und fernen Individuen, Mitbürgern oder andere Staatsangehörigen. Die nahen Personen werden grundsätzlich mit mehr Wohlwollen eingeschätzt und über ihre Charakterfehler wird hinweggesehen, wobei es bei den ferneren Menschen keinen Vorschuss an Vertrauen, Milde oder Toleranz gibt. Hume macht darauf aufmerksam, dass dieses Verhalten zu unnötigem Streit, Konflikten und Kriegen führt. Wir sind zu abhängig von Personen des persönlichen Umfeldes. Wir sollen alle Menschen in unseren Nahbereich aufnehmen und mehr wie Weltbürger handeln und denken. In jedem gibt es gute und schlechte Seiten und jeder hat die moralische Pflicht, für das Gemeinwohl als sinnstiftendes Element im Leben zu arbeiten. Im Grunde des Herzens wollen wir alle unser Glück teilen.
Übung:
Versuchen Sie bei einer beliebigen Person auf der Straße Sympathie anzuwenden. Sie können ein Kompliment formulieren oder einfach ein kleines Lächeln verschenken. Sie werden sehen, es bewirkt Wunder und vor allem positive Empfindungen für alle.
ICH BIN, WAS ICH FÜHLE
Bis jetzt haben wir zwei vernünftige Ratschläge von dem schottischen Philosophen bekommen:
- zum einen nicht alles zu glauben, was wir denken und fühlen, und
- zum anderen das Glück aller wertzuschätzen.
Aber ist der Mensch tatsächlich vernünftig? Ist er wirklich von der Ratio geleitet? Der schottische Empirist verneint diese Aussage mit Bestimmtheit. Was uns wirklich lenkt, sind die Affekte.

„Die große Führerin des menschlichen Lebens ist nicht die Vernunft, sondern die Gewohnheit.“
Über die Sinneswahrnehmung (Perception) erlangen wir Erkenntnis. Daraus ergeben sich unsere Vorstellungen über das Leben, uns selbst und unsere Gewohnheiten. Über die äußeren Eindrücke, die Sinneswahrnehmungen, entstehen innere Eindrücke, die Gefühlswahrnehmungen. Daraus erheben sich wiederum unser Denken und daraus das Handeln. Ein werteorientiertes Leben ist somit nicht a priori vom Verstand bestimmt, sondern von den Auswirkungen der äußeren Reize auf unsere Gefühle. Wir brauchen daher eine „Gefühlsethik“ (Moral sense) für eine gelebte Moralphilosophie. Er bestimmt, was tugendhaft und was verboten ist. Dies wird auch als humesches Gesetz bezeichnet. Die Moral wäre nur blutleer, wenn sie nur mit dem Verstand getroffen würde.
ALLES KANN, NICHTS MUSS
Wie streng darf diese Tugendethik angewendet werden, um noch ein gelingendes Leben führen zu können? „Der ‚gestrengen Philosophie‘ sollen die Fesseln des Asketismus genommen werden.“
Hume musste in jungen Jahren aufgrund seiner schwachen physischen Konstitution einen milderen Weg der praktischen Philosophie finden. Er konnte nicht die volle Härte der klassischen Philosophie an sich anwenden. Er entwickelte seine Philosophie des humeschen Epikureismus, ein Streben nach Wohlbefinden. Unlust, Besorgnis und Strapazen werden vermieden und Lust, Ruhe und Zufriedenheit gefördert.

Mit seinem Aufruf „Haltet mich nicht länger gewaltsam in diesen Schranken fest!“ erkennt Hume seine eigene Endlichkeit und die des Lebens. Warum also nicht ein Leben in Vergnügen führen? Jeder Augenblick soll auch ein Genuss sein. „Eine kleine Zeitspanne noch und diese Menschen werden nicht mehr sein.“ Er sieht auch das Streben nach materiellen Gütern nicht verwerflich. Das Anhaften daran schon. „Wir sollen unser Herz nicht daran hängen“, das ist seine Empfehlung.
Ein scheinbarer Gegensatz seiner Philosophie findet sich in seiner Idee des humeschen Stoikers. Hier ist die Betonung nicht auf das gute persönliche Leben gelegt, sondern essenziell ist die Priorisierung für das Gemeinwohl.
HEITERE GELASSENHEIT ÜBEN
Das Glück entsteht mit dem harmonischen Einklang aller Kräfte der Natur. Hier kommt der Verstand wieder ins Spiel. Der Mensch ist vernünftig, gesellig und hat ein Bedürfnis zu handeln. Drei grundlegende Säulen für ein gelungenes Leben. Das bedeutet, seinen Verstand zu gebrauchen, in angenehmer Gesellschaft zu leben und einer Beschäftigung nachzugehen.

Um ein moralischer Mensch zu sein, geht es nicht so sehr um die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse, sondern um die Entwicklung des Verstandes. Eine Kunst des Verstehens. Sie ermöglicht, die eigenen Mängel auszugleichen, die Triebe zu zügeln und die Leidenschaften im Zaum zu halten. Mit dem Ziel der Veredelung des eigenen Charakters. Der humesche Stoiker entwickelt nicht nur ein individuelles Glück, sondern erfährt Zufriedenheit auch in einer sozialen Gesinnung. Er empfiehlt die häufige Lektüre „unterhaltsamer“ Philosophen wie Plutarch, Cicero oder Seneca. „Verachtet diese Hilfen nicht, doch setzt auch kein zu großes Vertrauen in sie …“
Nur die Philosophie kann Menschen lehren, Schicksalsschläge mit Gleichmut zu ertragen. Kant hat vor allem in seiner Kritik der reinen Vernunft viel mit den Ideen David Humes gearbeitet. Vielleicht ist es auch das Beste, den großen deutschen Philosophen als Schlusswort zu zitieren. An seinem Sterbebett gab Kant als letzten Satz „Es ist gut“ von sich. Das Leben liegt in unseren Händen sowie auch das Glück, die Betrachtung der Welt – und bitte vor allem mit viel Humor und Eleganz.
Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 176 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.