Drei Geistesgifte und deren Heilmittel

Drei Geistesgifte und deren Heilmittel

DIE WELT DER HUNGERGEISTER

Im Bhavachakra wird die Welt der gierigen Menschen dargestellt als Hungergeister oder „Pretas“: Wesen mit riesigen Bäuchen, schmalen Mündern und dürren Hälsen. Der aufgeblähte Bauch steht für alle Begierden, die die Geister heimsuchen. Diese Gier kann wegen der schmalen Münder und Hälse nie gestillt werden. Es ist ein Leben des unstillbaren Durstes nach mehr: mehr Party, mehr Kick, mehr Besitz, mehr Prestige etc. Jede Erfüllung eines Wunsches generiert wieder einen neuen Wunsch …

DIE SCHLANGE IN DIR ODER DER HASS

Geistesgifte: Hass

Hass wird durch eine ablehnende Geisteshaltung charakterisiert – das Prinzip „ich mag das nicht, weg damit!“. Auch wenn das Gefühl des Hasses ein Extrem darstellt, das nicht oft auftritt, so gibt es die ablehnende Geisteshaltung in vielen Formen. Nyanaponika, ein buddhistischer Mönch der Theravada-Tradition spricht von folgenden Gefühlen als zur Gruppe des Hasses gehörend: Abscheu, Ärger, schlechte Laune, Wut, Abneigung, Ressentiments.
Auch beim Hass ist es ähnlich wie bei der Gier: Man denkt, man kann den Hass loswerden, indem man das Objekt, das Abneigung erzeugt, loswird. Doch was, wenn bald danach das nächste Ungewollte passiert?
Was, wenn die Dinge, die ich ablehne, nicht in meiner Macht stehen wie zum Beispiel das Verhalten eines Familienangehörigen oder Nachbarn?
Letztlich muss ich akzeptieren, dass ich nur einen sehr kleinen Teil meines Lebens kontrolliere. Vieles liegt nicht in meiner Macht: Ich kann mich darüber aufregen, dass viele Dornen am Weg liegen, oder Schuhe anziehen.

WAS TUN BEI ABLEHNENDER GEISTESHALTUNG?

  • Loslassen. Eine Geschichte berichtet von zwei tibetischen Mönchen, die sich über ihre Zeit in einem chinesischen Gulag, einem brutalen Arbeitslager, unterhalten. Der eine fragt den anderen: „Hast du deinen Peinigern schon vergeben?“ Der zweite: „Niemals!“ Darauf der Erste: „Dann halten sie dich immer noch gefangen.“
  • Mitgefühl: „Metta“. Der Dalai Lama praktiziert dies sogar in Bezug auf die chinesischen Belagerer, die unsägliches Leid über das tibetische Volk gebracht haben. Mitgefühl heißt, sich in den anderen hineinversetzen zu können. Zu erkennen, dass auch im Gegner ein fühlendes Wesen steckt, das gefangen ist in seinen Einstellungen und Fanatismen. Ihn zu hassen, bringt nichts. Nur über das Mitgefühl kann eine Annäherung passieren. Dies heißt jedoch nicht, mit allem einverstanden zu sein!
  • Die Ursache finden: Ist der Hass oder die Ablehnung wirklich gerechtfertigt? Was hat das mit mir zu tun? Wo habe ich in anderen Lebensbereichen ebenfalls blinde Flecken? Im Buddhismus wird dies die „analytische Meditation“ genannt, die die Ursachen des Schmerzes ergründet und so das beste Heilmittel finden kann. Dies muss allerdings jeder selbst aktiv tun.
  • Den Hass „anlachen“. Ihn nicht so ernst nehmen. Mit Humor ist alles leichter…

WELT DER HÖLLE

Die Welt der ablehnenden Geisteshaltung ist die Welt des Kampfes gegeneinander. Die Welt der Ablehnung, des Hasses und aller giftigen Emotionen. Lebensphasen, in denen wir Gefangene sind unserer eigenen Ängste, Hass- und Neidgefühle und damit anderen, aber am meisten uns selbst schaden.

DAS SCHWEIN IN DIR ODER DIE VERBLENDUNG

Geistesgifte: Verblendung

In den Lehrreden des Buddha wird die Verblendung (Sanskrit: moha) als das Grundübel angesehen, aus dem auch die anderen Geistesgifte, Hass und Gier, entstehen.
In einem Pali-Text heißt es: „Verblendung ist des Elends Wurzelgrund. Unwissenheit ist Quelle aller Krankheit. Sie schlägt den Geist mit Blindheit und schafft die Welt des stummen Tiers.“
Das Tückische an der Unwissenheit ist, dass sie uns meist nicht so leicht auffällt und nicht so störend ist wie die Gier oder der Hass. Oft erkennen wir die eigene Verblendung erst viel später …
Was ist die Ursache von Verblendung? Mangelndes Denken. Manche denken nun vielleicht: „Aber ich denke ja sowieso die ganze Zeit! Mein Verstand arbeitet ja immerfort …“.
In der östlichen Philosophiewerden zwei Arten des Denkens unterschieden: das automatische Denken und das höhere Denken. Ersteres ist wie ein Affe: unstet, springt von einem zum anderen, kreist um die eigenen Bedürfnisse oder die eigenen Ablehnungen, schwer zu bändigen …
Das höhere Denken ist wie ein Elefant: stabil, stark, ruhig, gelehrig (in Indien das Symbol der Weisheit). Dieses Denken gilt es zu entwickeln und zu üben!
Was sind subtilere Formen davon? Zu diesem Thema schreibt Nyanaponika: Fanatismus, Dünkel, Verwirrung, Stumpfsinn, Vorurteile. Alles in allem ist es die Welt der Meinungen: sich ein Urteil zu bilden, ohne tiefer nachzudenken.

WIE ÜBERWINDET MAN DIE UNWISSENHEIT?

  • Die Lektüre eines Philosophiemagazins ist schon ein guter Anfang. Doch um wirklich vorwärtszukommen, sollte über das Gelesene mindestens so lange nachgedacht werden wie die Zeit, die man zum Lesen brauchte. Die russische Philosophin H. P. Blavatsky empfiehlt sogar sieben Mal so lange …
  • Die eigenen Meinungen überprüfen: Was weiß ich wirklich über die Themen der Weltpolitik oder sonstigen Gesprächsstoff und wo wiederhole ich nur andere Meinungen?
  • Ein Erfahrungstagebuch: Was hat mich der heutige Tag gelehrt?
  • Das Nachdenken über erhabene Themen der Philosophie wie die Vier Erhabenen Wahrheiten, den Edlen Achtfachen Pfad …

DIE WELT DER TIERE

Sie ist ein Leben in Unbewusstheit. Ein Leben, das den Instinkten folgt. Ohne Nachdenken über das Leben, ohne Reflexion: immer den einfachen Weg gehen; davonlaufen, wenn man Angst hat; angreifen, wenn man wütend ist; schlafen, wenn man müde ist …
Gemäß der buddhistischen Philosophie haben wir unser Schicksal selbst in der Hand. Wir entscheiden Tag für Tag, ob wir uns tiefer in die Welt von Mara hineinziehen lassen, oder ob wir bewusst gemäß unseren Wertevorstellungen handeln. Jeder Gedanke, jede Emotion und jede Handlung prägen uns und die Welt.
In jedem Moment säen wir Karma, also handeln wir, wodurch wir Ursachen für zukünftige Ereignisse setzen.

Rad des Lebens

LITERATURHINWEIS:

  • Nyanaponika Mahathera: Die Wurzeln von Gut und Böse. Verlag Beyerlein & Steinschulte, 2008
  • Chögyam Trungpa: Spirituellen Materialismus durchschneiden. Theseus Verlag, 2017
  • Dalai Lama, Desmond Tutu und Douglas Abrams: Das Buch der Freude. Lotos Verlag, 2016

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 171 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.