Tiefsinn in Bewegung – philosophische Gedanken zum Sport

Tiefsinn in Bewegung – philosophische Gedanken zum Sport

Sport

Dank Albert Camus wissen wir, dass, selbst wenn wir den Widerstand niemals überwinden, der Stein stets aufs Neue zurückrollt, wir uns Sisyphos dennoch als glücklichen Menschen vorstellen müssen. Es ist sein Stein, sein Schicksal, sein Weg, sein Kampf…

Von Friedrich Nietzsche stammt der Satz:

Es ist das Wesen dieser Kämpfe, dass, wer sie schaut, sie auch kämpfen muss.

Doch selbst wenn wir nur zuschauen, weil wir zu mehr nicht in der Lage sind, da unsere Motorik eher Sandalentouristen in Tropfsteinhöhlen gleicht und unser scheckheftgepflegter Körper Jahre oder Jahrzehnte zurückliegt, spüren wir, dass der Athlet von unserem Fleisch und Blut ist – doch in höchster Vollendung. Wir spüren, dass der Athlet die Eckpfeiler der menschlichen Existenz – Schönheit und Schmerz – uns ab- und auf sich nimmt.

Darüber hinaus versetzen uns die vielleicht kühnsten Spieler im Welttheater der Wirklichkeit in einen Zustand, einen Taumel gehobener Energetisierung. Sie werfen uns in eine Woge der Begeisterung und des intensiven Erlebens, die uns alle mitreißt. Nichts ergreift, berührt, mesmerisiert uns mehr als reale Präsenz in der Zeitform des Augenblicks, des Augenblicks ihrer Entladung. In dieser fokussierten Intensität ersehnen, erleben und genießen wir das Ereignis solcherart, dass es zu unserem eigenen wird.

Der grandiose Schriftstellen David Foster Wallace (1962 – 2008) – dem wir auch die Überschrift zu verdanken haben – schrieb in einem legendäres Essay über Roger Federer:

Was Spitzensportler mit ihren Körpern zustande bringen, davon kann unsereins nur träumen. Aber diese Träume sind wichtig, sie entschädigen uns für so vieles. Auch nur miterleben zu dürfen, wie rohe Gewalt und Aggression von Schönheit in die Knie gezwungen werden, ist Inspiration und Versöhnung. Versöhnung mit der Tatsache, dass wir einen Körper haben.

Gibt es eine schönere Form, Privatfrieden mit dem eigenen Dasein zu schließen?

Sport durch die Athleten zu erleben ist Vorbild, Urbild und Überbild

Als Zuschauer von solchen Sportereignissen können wir uns in Leben hineinträumen und uns eine geschlossene, singuläre und sinnliche Aura voller Freude erschaffen, für die wir keinerlei Voraussetzung besitzen. Sich an Abebe Bikila, Pele, Steffi Graf, Edwin Moses oder Torvill und Dean zu erinnern, ihren sportlichen Leistungen immer wieder nachzuspüren, ist eine Möglichkeit, Dankbarkeit für mein Leben und Liebe zu meinem Leben überhaupt auszudrücken. Sport durch sie zu erleben ist Vorbild, Urbild und Überbild. Es bedeutet, das eigene Wesen ins Vollkommene zu projizieren. Durch seine Liebe und Hingabe im Tun und meine Liebe und Hingabe, sein Tun zu ehren, verschmelzen wir, weil wir ihn begreife, mich in ihm spiegele, mich in ihm beständig wiederfinde und das klarer, deutlicher und gefälliger als in mir selbst.

Hat man gelernt, die Welt und das eigene Leben durch die Augen sportlicher Höchstleistungen zu betrachten, wächst die Empfindung, dass man sich selbst etwas schuldig ist, dass es geboten ist, sich selbst mehr abzuverlangen und vor allem sich selbst mehr abzuverlangen als dem Nächsten.

Sport

In dieser Form ist Sport ein vereinnahmendes Wesen voller Universalität und Weltwert. Er zeigt als Anschauungsvirtuose Gipfelmomente kinästhetischer Virtuosität, mentale Verblüffungskünste und skulpturale Schönheit, die einfach zum Niederknien sind. Der Sport hat eine Erhabenheit und Lebensertüchtigung, die alle anspricht. Durch seine Identifikationsangebote ist ein jeder immer mitgemeint und mitaufgefordert, in diese erhabene Stimmung einzutauchen, in diese emotionale Berückung und Berührung hineinzugehen und als anderer Mensch aus ihr herauszukommen.

Falls diese Galvanisierung noch nicht gleich gelingt (beim Verfasser dieser Zeilen hat es Jahrzehnte gedauert, bis er den Athleten in sich entdeckt hat), gibt es drei sportliche Seitenpfade, die den Weg zum Athleten weisen:

  • Mache dein Leben so bedeutungsvoll, wie du nur kannst!
  • Fühle so intensiv, wie es dir möglich ist!
  • Übe Demut im Sieg und achte den Verlierer!

Mit diesen drei Lebensermutigungen erfüllen sich auch Goethes Worte, die jeder begeisterte Fan uns Sportler nur zu gut kennt:

Alles Leidende hat etwas Göttliches.

Goethe

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 173 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.