Wie möglich ist die Möglichkeit?

Wie möglich ist die Möglichkeit?

möglich

Oder das Geheimnis der dünnen Linie

Es ist möglich, dass es morgen regnet. Möglicherweise war ich vor 10 Tagen im Kino. Mir ist es möglich, heute diesen Artikel zu schreiben. Aber ist eine bessere Welt möglich?

„Möglich“ kommt von vermögen/können. Es ist möglich, es durch „es kann sein“ oder „ich/er/sie/es kann“ zu ersetzen. Aber Fertigkeiten und Können sind erwerbbar. Was ich heute noch nicht kann, kann ich morgen möglicherweise können. Allerdings scheint es mir vermessen, aus meinen Fähigkeiten auf eine objektive (Un)Möglichkeit zu schließen. Denn dann gäbe es keinen Computer, kein Auto – ich weiß nämlich nicht, wie diese funktionieren und könnte sie daher auch nicht herstellen. Vielleicht gäbe es dann aber mehr Philosophie und Kunst, denn auf diesen Gebieten kenne ich mich besser aus. Aber es gibt Autos und Computer und noch vieles mehr. Daher: (Fast) … alles ist möglich.

Wichtiger erscheint mir daher die Wortbedeutung von „möglich“ als „denkbar“. „Möglich ist das, was man als möglich erachtet.“ (Ulrich Wiegand-Laster, Künstler und Kulturmanager). Ist also eine bessere Welt denkbar?

Der Philosoph G. W. Leibniz argumentiert, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, da alles andere mit Gottes Vollkommenheit unvereinbar wäre. Aber vielleicht sollten wir unser Obrigkeitsdenken ablegen, denn nicht Gott oder die Politiker, sondern die Wissenschaftler sind die verantwortlichen Schöpfer unserer Welt. In diesem Sinne warnt uns Voltaire in seinem Candide oder die beste
aller Welten
.

Möglicherweise sind gerade wir es – Sie und ich, wir alle – denen Gott es überantwortet hat, die beste aller möglichen Welten zu erschaffen. Damit wäre das Argument vom Tisch. Eine bessere Welt ist denkbar, eigentlich dringend nötig und möglich, wenn wir alle uns ein bisschen anstrengten. Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt. (Robert Musil, österreichischer Novellist, Dramatiker und Aphoristiker).

Ich glaube nicht an Systeme und alles regelnde oder reglementierende Gesetze. Systeme korrumpieren durch die Haltungen der Menschen, die sie leben – ebenso wie Gesetze und Verordnungen. Der Ansatzpunkt ist und kann nur der Mensch selbst sein, mit seinen Haltungen und Werten, mit seinem Welt- und Menschenbild.

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Mann muss das Mögliche vollbringen, um das Unmögliche zu berühren.

Simone Weil, franz. Philosophin

Ist der Mensch nun eine von Instinkten geleitete Bestie? Oder strebt er trotz allem nach Tugenden, dem Wunsch, gut zu sein und der Liebe? Der Gutmensch ist heute out. Wie steht es mit der Bestie?

Voltaire warnt uns auch vor einem naiven Optimismus, stets auf das Gute im Menschen und in der Welt zu vertrauen. Und wir wissen es alle: Wie schnell verschwinden unsere hehren Neujahrsvorsätze, uns in bessere Menschen zu verwandeln, und viel zu schnell stirbt unser Credo: Alles wird dann besser sein. Das heißt, wir könnten alle besser sein, als wir es ( jetzt) sind.

Es gibt daher auch die andere Seite: „Nichts ist unmöglich, denn wenn wir das Unmögliche denken, haben wir es schon so gut wie möglich gemacht.“ (Dr. Ing. der technischen Kybernetik und Automatisierungstechnik Kersten Kämpfer). Auch dafür gibt es Beispiele in unser aller Leben. Etwa als
sich der beste aller möglichen Menschen gerade in uns verliebte.

Wenn wir Goethe fragten, dann würde er uns möglicherweise antworten: „Möglich scheint fast alles an unseren Wünschen; unserer Tat setzt sich von innen wie von außen viel, was sie dadurch unmöglich macht, entgegen.“ Aber was macht uns dann so vieles unmöglich – innerlich wie äußerlich?

Nichts ist unmöglich. Das Mögliche vom Unmöglichen trennt nur eine dünne Linie. Aber wir sind so in den Bequemlichkeiten festgefahren, so erstarrt, dass wir nicht in der Lage sind, über die dünne Linie zu springen.

Ion Dragoumis, griechischer Schriftsteller

Und mit dieser Erkenntnis lasse ich Sie – werte Leser – und auch mich nun allein. Denn „Es ist immer leichter, über einen fremden Schatten zu springen als über seinen eigenen.“

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 162 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.