Auf den Spuren Viktor Frankls
„Es ist etwas Furchtbares um die Verantwortung des Menschen – doch zugleich etwas Herrliches! Furchtbar ist es: zu wissen, dass ich in jedem Augenblick die Verantwortung trage für den nächsten; dass jede Entscheidung, die kleinste wie die größte, eine Entscheidung ist ,für alle Ewigkeit’; dass ich in jedem Augenblick eine Möglichkeit eben des einen Augenblicks, verwirkliche oder verwirke. Nun birgt jeder einzelne Augenblick Tausende von Möglichkeiten, ich kann aber nur eine einzige wählen, um sie zu verwirklichen. Alle anderen aber habe ich damit auch schon gleichsam verdammt, zum Nie-Sein verurteilt, und auch dies, für alle Ewigkeit’!
Doch herrlich ist es: zu wissen, dass die Zukunft, meine eigene und mit ihr die Zukunft der Dinge, der Menschen um mich, irgendwie – wenn auch in noch so geringem Maße – abhängig ist von meiner Entscheidung in jedem Augenblick. Was ich durch sie verwirkliche, was ich durch sie, in die Welt schaffe’, das rette ich in die Wirklichkeit hinein und bewahre es so vor der Vergänglichkeit.“
(Aus: Viktor Frankl „Ärztliche Seelsorge“ 1948, S. 48)
Viktor Emil Frankl wurde am 26. März 1905 unweit des Wiener Praters als zweites von drei Kindern geboren. Damals konnte noch niemand das unsägliche Leid erahnen, das er in vier Konzentrationslagern erleiden sollte. Genauso wenig seine Berufung, tausenden Menschen ihren Sinn und ihre Freude im Leben wiedergeben zu können. Frankl studierte Medizin und beschäftigte sich gleichzeitig intensiv mit Psychologie und Psychotherapie.
Er unterhielt persönliche Kontakte zu Alfred Adler und Sigmund Freud, distanzierte sich jedoch bald von deren Lehrmeinung und begründete die so genannte „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“, die Logotherapie. 1942 wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung ins KZ Theresienstadt deportiert. Insgesamt musste er vier Konzentrationslager durchlaufen, bis er 1945 aus dem KZ Türkheim befreit wurde. Frankl wog zu diesem Zeitpunkt 38 kg, durch das NS-Regime hatte er seine Eltern, seinen Bruder, seine Frau und die meisten seiner Freunde verloren – als er zurück nach Wien kam, stand er buchstäblich vor dem Nichts.
Doch statt zu verzweifeln, regte sich in ihm ein ungeheurer Lebenswille, ein Drang, das erfahrene Leid zu transformieren, es zu einer Triebfeder für die Hilfe an anderen Menschen werden zu lassen.
Wer war Viktor Frankl, der noch zu Lebzeiten für viele zu einem Mythos geworden ist? Er wird weltweit von Millionen von Menschen verehrt, weil er ihnen in einer sinnentleerten Gesellschaft Hoffnung vermittelt. Frankl schien aus den Tiefen eines Wissens zu schöpfen, das kein angelerntes und oberflächliches Kopfwissen, sondern eine Form der gelebten Weisheit war – denn er ist selbst durch die Hölle gegangen, hat aber den Weg zum Licht gefunden.
Eines war Viktor Frankl immer klar: Werte können wir nicht lehren – Werte müssen wir leben! Frankl erkannte sehr schnell die Tücken der Überflussgesellschaft, in der wir heute leben. Immer weniger Menschen scheinen zu wissen, wofür sie leben sollen oder können. Große Sorgen bereitete Viktor Frankl der Anstieg der Selbstmordrate nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, der einherging mit der Unfähigkeit, dem eigenen Leben einen tieferen Sinn zu geben.