Der lange Weg zum Nichts

Was sagt die Physik?
In der Teilchenphysik ist die Wahrscheinlichkeit an einer bestimmten Stelle zu finden, abhängig von der Amplitude der „Wahrscheinlichkeitswelle“. Bei großer Amplitude ist die Wahrscheinlichkeit groß, das Teilchen dort anzutreffen.
Wenn die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen auszumachen, zunimmt, nimmt die Unsicherheit über den Impuls (die Geschwindigkeit) des Teilchens ebenfalls zu (Heisenbergsche Unschärferelation). Dennoch kann man sagen, dass sich das Teilchen, z. B. ein Elektron, auf einer bestimmten Umlaufbahn aufhält.
Der Physiker Oppenheimer sagt über gleichzeitige Existenz und Nichtexistenz von Teilchen:
„Wenn wir zum Beispiel fragen, ob die Position des Elektrons die gleiche bleibt, müssen wir „nein“ sagen. Wenn wir fragen, ob die Position des Elektrons sich mit der Zeit ändert, müssen wir „nein“ sagen und wenn wir fragen, ob das Elektron in Ruhe verharrt, müssen wir „nein“ sagen. Fragen wir, ob es in Bewegung ist, müssen wir ebenso „nein“ sagen.“

Der Erfinder und Physiker Nikola Tesla befürwortete die Theorie einer „ur-ersten Substanz von nicht wahrnehmbarer Feinheit, die den ganzen Raum erfüllt, dem Äther, innerhalb dessen eine schöpferische Kraft wirkt, die alle Dinge und Phänomene in niemals endenden Zyklen ins Leben ruft. Die Ursubstanz, in infinitesimale Wirbel von gewaltiger Geschwindigkeit geworfen, wird zur groben Materie. Lässt die Kraft nach, hört die Bewegung auf und die Materie verschwindet – sie kehrt zur Ursubstanz zurück.“
Die Macht der Wahrscheinlichkeit
Im taoistischen Modell heißt das: Nichts ist da im Sein-an-sich eines Lebewesens und dennoch ist eine erhöhte Wahrscheinlichkeit im Nichts entstanden, dass eine Existenz zustande kommt. Dieser Zustand reiner Wahrscheinlichkeit wird als ursprüngliche, wahre, all-eine, hervorbringende Energie bezeichnet. Er enthält eine inhärente Ursache, aus welcher eine Wirkung entsteht: Im Falle des Menschen wäre dies der Ursprung des Lebens-an-sich.
Die erhöhte Wahrscheinlichkeit für Existenz wird im Taoismus als das „weibliche Mysterium“ bezeichnet. Es umfasst das Ungeborene, noch nicht empfangene Leben, das nur als Möglichkeit im Weiblichen angelegt ist.
Die Taoisten erreichen die Erleuchtung durch genaue Beobachtung des Schöpfungsprozesses und durch Umdrehen der Entstehung des eigenen Geistes bis hin zum neuerlichen Eintreten des Bewusstseins in den ungeborenen Zustand und durch bewusstes „Heraustreten“ aus diesem zurück in den Alltag.

Alchemie
In der westlichen, mittelalterlichen Alchemie wurde versucht, aus unedlen Metallen Gold herzustellen und in den höheren Graden alchemistischer Lehre wurde durch sogenannte „alchemistische Prozesse“ versucht, die Materia prima oder das „Lebenselixier“ herzustellen. In einer kirchendominierten Zeit, in welcher der Scheiterhaufen drohte, hat man so die Erkenntnisse der alten Mysterienlehren verschlüsselt und in Symbolen und Prozessen versteckt. Was uns heute (durch Unkenntnis) lächerlich und primitiv erscheint, beschrieb dem Alchemisten den Weg zur Erleuchtung.

Im Taoismus kennen wir ein ähnliches Prinzip, in welchem von Schmelztiegeln, Zinnober und Gold die Rede ist. Er beschreibt ebenfalls einen Weg zur Verwirklichung des Tao als Teil des aktiven Bewusstseins.
Man kann diesen Zustand reiner Möglichkeit „Creation“ nennen, den schöpferischen, intuitiven Moment, aus welchem z. B. auch eine Idee geboren werden kann. „Creation“ ist ein permanenter Teil unseres Bewusstseins, weitgehend bis vollständig durch andere Anteile überlagert. Es kann aber zunehmend aktiviert und im täglichen Leben verwendet werden. Unter optimalen Bedingungen füllt es das ganze Bewusstsein aus und das ganze Universum wird zu einem eigenen schöpferischen Akt, in welchem wir vollständig Verantwortung übernehmen für dieses von uns in jedem Augenblick erschaffene Universum.
Dass dieser Bewusstseinszustand für den Menschen erreichbar ist, deutet Krishna in der Bhagavad Gita an:
„Ich bin der Ursprung dieses Alls, aus mir geht All hervor … Es kennen meinen Ursprung nicht die Götter noch die Weisen auch, weil ich der Götter Urquell bin und auch der Weisen allesamt. Wer mich kennt als den Herrn der Welt, der ungeboren anfangslos – ein solcher Mensch ist nicht betört, der wird von allem frei …“
Durch Meditationstechniken kann man in den Zustand von Tao eintreten. Im Taoismus nennt man diesen Prozess „die Öffnung des Tores des Geheimnisses“, im Buddhismus „den Weg zur Erleuchtung“, in der altägyptischen Initiationstradition „Gott alles“, in den Yogatraditionen „Samadhi“, im Surat Shabd Yoga „Sat Nam“.
Wie ist der Zustand beschaffen, der sich am Erleuchtungspunkt eröffnet? In der Teilchenphysik spricht man von der Vereinigung von anscheinend selbstständigen, unvereinbaren Einheiten durch das mathematische Erschaffen einer vierten Dimension, in welcher es möglich ist, z. B. Masse und Energie zu vereinen.
Dementsprechend beschreibt Anagarika Govinda:
„Ein Erlebnis höherer Dimensionalität wird durch die Integrierung verschiedener Bewusstseinszentren erreicht. Daher die Unbeschreibbarkeit gewisser Meditationserlebnisse auf der Ebene dreidimensionalen Denkens und einer diesem angepassten und es einschränkenden Logik“.
