Der lange Weg zum Nichts

Der Moment zwischen zwei Gedanken
In der Zen-buddhistischen Meditation wird versucht, in den kurzen Moment zwischen zwei Gedanken einzudringen und diesen auszuweiten. Die vollkommene Gedankenleere wird Hua Tao genannt. In der Meditation heben wir die Gegensätze durch Gedankenruhe auf, um den Ursprung des Seins zu erkennen. Langes Nachdenken über ein scheinbar sinnloses Kurzgedicht, einen sog. Koan, stellt eine Dissoziation der Gedanken her, zwischen Bewusstem und Unbewusstem.
Welchen Vorteil bringt die Leere?
Eine beachtenswerte Antwort gibt ein Zitat des indischen Philosophen und Heilslehrers Bhaghwan Shree Rajneesh:
„Fülle Deinen Geist durch die Meditation mit Leere, denn sie ist die einzige Fülle, die dir der Tod nicht wegnehmen kann.“
Der Zustand von „Leere“ ist außerhalb von Gefühl und Nicht-Gefühl, ist aber auch nicht gefühllos, liegt außerhalb der Sinne, kann nicht als Selbst wahrgenommen werden und begründet es doch. Annähernd erspürbar wird der Zustand, wenn man die Hand vor das Gesicht hält, sie anschaut und dann langsam hinter den Kopf bewegt. In einem bestimmten Moment entschwindet die Hand dem Blick und ist nicht mehr sichtbar. Hinter dem Kopf, dort, wo die Hand nun ist, kann nichts gesehen werden. So wie in diesem Nichts die Hand für die Sphäre des Sehens als Potenzial vorhanden ist, liegt in diesem Nichts die „höchste Verdichtung von Wahrscheinlichkeit“ für „Hand“.

Alles im Nichts
In der Kabbala finden wir die schöpferische Dimension im Begriff „Zimzum“. Dieser bezeichnet den noch nicht manifestierten Urwillen als jenen Impuls, der dazu führt, dass die Schöpfung sich aus sich selbst heraus erschaffen kann, in dem sich das raum- und zeitlose Kontinuum „En Sof“ zusammenzieht und an Dichte zunimmt.
„Da vom reinen Sein größtenteils nur gesagt werden kann, dass es nicht sei, nennen die Kabbalisten es manchmal geradezu „En“ (Nichtseiendes), weil in ihm noch alles untrennbar verborgen liegt. Außer den rein negativen Bestimmungen (unendlich, unverursacht, immateriell, unbeweglich etc.) kann aber von dem Urgrund wenigstens das positiv ausgesagt werden, dass er die absolute Weisheit ist, in welcher Denken, Denkendes und Gedachtes völlig eins ist, in welchem daher schon die ganze Weltentwicklung als absoluter Gedanke tief verborgen liegt“. Aus der theoretischen Kabbala, Erich Bischof
Ashtavakra Gita, beschreibt das Eintauchen in den Erleuchtungszustand:
„Berührungslos, tatenlos bist du, Licht dass sich selbst erhellt aller Trübung bar.“
„Das Selbst ist zuschauend ewig, allausfüllend-alleinsam, frei geist- und tatenlos, berührungslos, verlangenslos, friedvoll allem Wirbel entrückt.“
Der Weg zu diesem Zustand erscheint lange, ja unerreichbar scheint das Ziel, wie dem Fisch, der das Wasser sucht.
Nur durch Transzendieren des Geistes (vgl. „Trance“ – „transire“ – „transcendere“) vom Denken in das Nichtdenken, in die So-heit des Geistes, durch innere Schau alleine entsteht die Einswerdung mit dem höheren Bewusstsein.
„Alle Wesen wollen leben und lebend streben sie zum Nichts.“ Lao-Tse

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 147 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.