Die Einheit in der Vielfalt

Die Einheit in der Vielfalt

Einheit Vielfalt

Inmitten dieser Zeit der Perücken, des absolutistisch regierenden Sonnenkönigs, der Erfindung der modernen Mathematik und des Menschen als Maschine erscheint ein Naturphilosoph, der heute als einer der letzten Universalgelehrten gilt. Der Leipziger Gottfried Wilhelm von Leibniz war ein Philosoph des Lebensoptimismus. Bekannt ist vor allem seine Aussage:

Wir leben in der besten aller Welten.

G. W. Leibniz

Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen waren für ihn ein Garant, eine lebenswerte und glückliche Einheit in der Gesellschaft zu formen.  Sein dauerndes Streben nach Harmonie zeigt sich in seinen Anstrengungen

  • ein europäisches Netzwerk von Akademien zu gründen und
  • die protestantische und katholische Religion miteinander zu versöhnen.

Ersteres ist heute Realität geworden, Letzteres dauert wohl noch ein wenig.

In einer Zeit, in der die tieferen Geheimnisse der Materie entdeckt wurden, die eine zunehmend rational denkende Gesellschaft faszinierten, öffnete er wieder die Sicht auf unsichtbare Kräfte, indem er die Monade in den Mittelpunkt seiner Philosophie rückte, ein Jahrhundert nach Giordano Bruno. Wie er versteht Leibniz die Monade als eine Art spirituelles Atom, ohne Form, Ausdehnung oder Teilbarkeit.

Jede Monade ist einzigartig. Wie auch jeder Mensch einzigartig ist.

Einmal animierte Leibniz die Gäste bei einem Empfang, in den Garten zu gehen und zwei genau gleiche Blätter zurückzubringen. In der Natur gebe es kein gleiches Wesen und doch verstehe er alle Monaden als eine Einheit, auch als einen Teil einer größeren Einheit wie die Seele oder Gott. Wie viele Naturphilosophen vor ihm weitet er den Weg ins Innere zu einer unendlichen Dimension. In einer Art intuitiven Schau durch ein Mikroskop beschreibt Leibniz:

Jede Materiepartikel kann als ein Garten voller Pflanzen und ein Teich voller Fische aufgefasst werden. Aber jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Tieres, jeder Tropfen seiner Körpersäfte ist noch (einmal) ein solcher Garten oder ein solcher Teich.

G. W. Leibniz

Überall spiegele sich die Welt wider, der Makrokosmos im Mikrokosmos. Unser Drama sei, dass wir jedoch nur das Grobe sehen würden. Auch Leibniz verbindet also die Einheit mit der Vielfalt, so wie ein Gedanke eine Vielzahl für Eindrücken und Sinneswahrnehmungen transportiere.

Wieder ein Jahrhundert später nimmt Goethe, der Weimarer Riese, die Idee der Monade auf und beschreibt sie als mitschaffendes Wesen.

„Das Werden der Schöpfung ist ihnen anvertraut“

Ihm, wie auch Bruno und Leibniz, geht es um die Evolution des Menschen, das Entwickeln, das Auswickeln unserer schlummernden Potenziale.

Jede Sonne, jeder Planet trägt in sich eine höhere Intention, einen höhern Auftrag, vermöge dessen seine Entwicklungen ebenso regelmäßig und nach demselben Gesetze, wie die Entwickelungen eines Rosenstockes durch Blatt, Stil und Krone, zu Stande kommen müssen. Mögen Sie dies eine Idee oder eine Monade nennen…

J. W. von Goethe

Vielleicht ist dies ja der Kern, der Kraftpunkt der Monadenlehre. Sonne, Ameise, Virus und alles dazwischen Liegende besitzen eine höhere Finalität. Wollen wir unser Schicksal, wollen wir die Vielfalt, wollen wir die Welt erkennen und schützen, sollten wir die Einheit suchen, sich um sie bemühen und sie schützen. Unser Planet ist eine Einheit, zumindest wenn man ihn vom Weltraum aus betrachtet.

Alle drei Philosophen weisen darauf hin, dass wir diese Einheit nur bewahren und entwickeln können, wenn wir uns selbst entwickeln, eine größtmögliche Vielfalt bewahren und als Ausgleich zu unserem Verstand unsere Herzintelligenz bzw. Herzintuition benutzen. Und wir brauchen keine Angst haben und uns dadurch ein inneres Gefängnis aufbauen. Die Monaden, also auch unsere Seelen, sind unsterblich, wie Goethe sagt:

Jede Monade geht, wo sie hingehört, ins Wasser, in die Luft, in die Erde, ins Feuer, in die Sterne; ja, der geheime Zug, der sie dahin führt, enthält zugleich das Geheimnis ihrer zukünftigen Bestimmung.

Die Monaden aller Elemente leisten ihren Beitrag zu dem großen Ganzen.

Diversität als Voraussetzung für Lebensfähigkeit

Dass uns diese Mannigfaltigkeit an Insekten, Wirbeltieren, Sprachen, Kulturen und vielleicht auch Meinungen gerade verloren geht, könnte ein Zeichen sein, dass wir die Einheit verloren haben. Die Einbahnstraße aus Nehmen, Machen, Benutzen, Verlieren zeugt von einem linearen Verständnis, wie wir unsere Ressourcen gebrauchen. Aus der Perspektive der Naturgesetze wie Zyklizität und Regeneration müssen wir uns eingestehen, dass wir nicht mit der Natur kooperieren, sondern gegen sie arbeiten.

Was würden uns Bruno, Leibniz und Goethe in der aktuellen Situation raten? Die Einheit im Inneren suchen und dann im Äußeren verwirklichen? Unser inneres Zentrum erobern und eine ehrliche Brüderlichkeit mit den Mitmenschen erreichen? Ich weiß es nicht, fände es jedoch sinnvoll und erstrebenswert.

Steh nicht still,
Wo du hinschaust, am Himmel, unter dem Himmel,
alles bewegt sich und regt sich.
Jedes eilt, ist oben und unten,
was fern ist, ist nah, was schwer ist, ist leicht.
Wohl gehst auch du denselben Weg
Zum selben Ziel,
eilend zur Ruhe im All.
So kreist im Meere der Tropfen,
von oben nach unten, von unten nach oben,
uns aus demselben Allgewimmel
formt sich jeglichem sein Schicksal.

G. Bruno

Literaturhinweis:

  • Charles Eisenstein: Die Renaissance der Menschheit, Scorpio, 2021
  • Jochen Kirchhoff: Giordano Bruno, rowohlts monographien, 1980
  • Richard Budzinski-Wecker: Giordano Bruno Buch, 1927
  • G. W. Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie, Meiner-Verlag, 1956
  • Wilhelm Weischedel: Die philosophische Hintertreppe, dtv, 2005
  • Goethes Gespräche mit Johannes Falk 1813 (unter www.zeno.org)

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe Nr. 165 (3/2021) des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht.

 

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