Gaia – unsere Erde ist ein Lebewesen
Uns erscheint die Vorstellung absurd. Den antiken Kulturen hingegen eine Tatsache. Für alle indigenen Kulturen ist es ihre gelebte Realität. Zustimmung kommt nun auch von Biologen und Kulturökologen wie Stephan Harding, David Abrams und Andreas Weber. Aus ihrer Sicht ist diese neue alte Sicht für unsere Zivilisation (über-)lebensnotwendig.
James Lovelock brachte Ende der 70er-Jahre mit seiner Gaia-Theorie eine vollkommen neue Sicht auf die Erde. Bis dahin betrachtete die mechanistische Wissenschaft die Erde als einen großen Gesteinsklumpen. Auf dessen Oberfläche entwickelt sich eine für diesen massiven Steinblock relativ unbedeutende dünne Schicht an Lebewesen, die sich den hier herrschenden Bedingungen anpasst. Lovelock stellte diese Sicht auf den Kopf.
Die Erde funktioniert wie ein Lebewesen
Lovelock erkannte, dass die Biosphäre eine enorme Wirkung auf die Erde hat. Und auf die Zusammensetzung der Atmosphäre, der Gewässer und der Gesteine. Und dass diese mit der Biosphäre durch komplexe Feedbacks interagieren. Die Erde scheint dadurch wie ein harmonisch komponiertes Lebenssystem zu handeln, dass seine Umgebung perfekt für das Leben ausbalanciert: die Atmosphäre und die Meere ebenso wie die Zusammensetzung der Boden- und Gesteinsschichten. Ohne diese Lebewesen bestünde unsere Atmosphäre aus 98 % Kohlendioxyd und 1,9 % Stickstoff. Sauerstoff und andere Gase wären nur in Spuren vorhanden. Wir hätten durchschnittliche Windgeschwindigkeiten von 350 km/h und der Luftdruck läge bei 60 anstatt 1 bar. Denn es waren Pflanzen, Lebewesen und zahlreiche Organismen im Meer, die im Verlaufe von 100en Millionen Jahren den atmosphärischen Kohlenstoff im Humus und in fossilen Lagern gebunden haben, den größten Teil allerdings als Calciumcarbonat in Gesteinsmassen.
Unser Körper passt seine Temperatur nicht der Außentemperatur an, sondern hat ein inneres Wissen, dass 37 Grad die richtige Temperatur ist, und balanciert diese permanent über Schwitzen oder Heizen aus. Ebenso weiß auch die Erde, welche Zusammensetzung für die Atmosphäre und die Gewässer genau richtig ist und balanciert diese aus. CO2 wird aus der Luft genommen z.B. über die Photosynthese und alle Meerestiere, die Kalk aufbauen. Würde dieser Prozess nur in eine Richtung gehen, würde die Erde immer mehr auskühlen. Deshalb wird CO2 auch wieder freigesetzt durch Brände und über Vulkanausbrüche. Mit solchen und vielen anderen Mechanismen balanciert die Erde ihre Temperatur aus – denn ohne Leben hätten wir auf der Erde durchschnittliche Temperaturen von 240 – 340 ° C.
Die Erde ist ein Lebewesen
Während Lovelock sich noch scheute, die Erde ein Lebewesen zu nennen, gehen andere Wissenschafter heute weiter. Für Lovelocks Freund und langjährigen Weggefährten am Schumacher-Collage Stephan Harding ist klar, dass die Erde ein Lebewesen ist. Die Erde und das Leben als Maschine zu betrachten war aus Sicht des Ökologen eine Zeit lang ein nützliches Modell, um Zusammenhänge zu erforschen und zu verstehen. Aber es ist keine geeignete Leit-Metapher um als Menschen auf der Erde zu leben und zu überleben. Dafür ist es notwendig, wissenschaftliches Wissen mit Werten, Sinn und Bedeutung zu verbinden und damit eine Ökosophie, also eine ökologische Weisheitslehre zu entwickeln.